Borodin war der uneheliche Sohn des georgischen Fürsten Luka Gedewanischwili (1772–1840) und dessen 24-jähriger Mätresse Awdotja Konstantinowna Antonowa. Da der Fürst verheiratet war, ließ er das Kind als den Sohn seines Dieners Porfiri Borodin registrieren.[2] Der Vater, ein pensionierter Leutnant der russischen Armee, führte seine Herkunft auf die Herrscherfamilie Gedewanischwili des früheren georgischen Königreichs Imeretien zurück. Kurz vor seinem Tod hat er sich zu seinem Sohn bekannt.
Borodin wuchs bei seiner Mutter in St. Petersburg auf. Dort erhielt er eine gute und umfassende Ausbildung. Er erwies sich als außerordentlich talentiert und erlernte neben den Sprachen Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch auch das Spiel auf dem Klavier, der Flöte und dem Cello. Mit neun Jahren komponierte eine Helenenpolka[3] und mit 14 Jahren versuchte er sich an der Komposition eines Flötenkonzerts, hatte zudem aber auch Interesse an naturwissenschaftlichen Fragestellungen.[4]
Im Jahre 1863 heiratete Borodin die Russin Jekaterina Protopopowa, eine brillante junge Pianistin. Sie lernten sich während seines Deutschlandaufenthaltes in Heidelberg kennen und verliebten sich auf einer gemeinsamen Reise nach Baden-Baden, wo sie sich auch verlobten. Sie hatten drei Töchter.
Von einer 1885 durchgemachten Cholera verblieben Konzentrationsstörungen, Schlaflosigkeit, Apathie und Herzschwäche. Der Tod seines Freundes Franz Liszt belastete ihn zusätzlich. Dennoch setzte er seine jahrzehntelang betriebene Arbeit mit dem Chor und dem Sinfonieorchester der Akademie fort. Am 27. Februar 1887 nahm er an ihrem Faschingsball teil, auf dem er gegen Mitternacht zusammenbrach und starb. Die Obduktion an Ort und Stelle ergab ein rupturiertes Herzgefäß.[3] Borodin wurde auf dem Tichwiner Friedhof des Alexander-Newski-Klosters in St. Petersburg beigesetzt.
In der Geschichte der Akademie zum ersten Male in russischer Sprache, befasste Borodin sich in seiner Doktorarbeit mit den chemischen und toxikologischen Eigenschaften der Phosphor- und Arsensäuren. Daneben mit Wasser- und Brunnenuntersuchungen in der Provinz befasst, nutzte er jede freie Minute für das Klavierspiel und das Komponieren. Am 3. Mai 1858 promovierte er zum Dr. med. Der Pathologe der Akademie wollte ihn unbedingt als Assistenten gewinnen; das Kriegsministerium beorderte ihn jedoch für ein Jahr als Hauschirurgen an das 2. St. Petersburger Militärlazarett. Dort begegnete er dem Offizieranwärter Modest Petrowitsch Mussorgski.[3]
Mit dem nach zwei Jahren verlängerten Stipendium ging er zu Sebastiano de Luca in Pisa.
Nach seiner Rückkehr an die medizinisch-chirurgische Akademie in St. Petersburg erhielt er im Jahre 1862, im Alter von 29 Jahren, eine Professur für organische Chemie. 1874 folgte er seinem Förderer Sinin auf dem Lehrstuhl.[3]
Borodin erforschte organische Reaktionen und Verbindungen und entwickelte in diesem Zusammenhang eine wichtige Labormethode zur analytischen Harnstoffbestimmung in der Medizin. Für die organische Chemie bis heute bedeutend sind seine späteren Forschungen an der oben genannten Militärakademie, die im Jahre 1861 zur Etablierung der Synthese der fluororganischen Verbindungen führten. Borodin publizierte auch eine Arbeit Zur Geschichte der Fluorverbindungen und über das Fluorbenzoyl in LiebigsAnnalen der Chemie. Von großer Bedeutung sind seine Untersuchungen auf dem Gebiet der Polymerisation und Kondensationsreaktion der Aldehyde sowie die fundamentale Entdeckung der Aldol-Addition im Jahre 1872. Weitere wichtige Meilensteine seiner Forscherkarriere sind die nach ihm benannte Borodinsche Silberdecarboxylierung und die Hunsdiecker-Borodin-Reaktion.
In einem Vierteljahrhundert als Wissenschaftler und Hochschullehrer förderte Borodin das Frauenstudium wie kein anderer im Zarentum Russland. Gegen viele Widerstände nahm er Nadeshda Suslowa als erste Hospitantin an der Akademie auf, was ihr ein reguläres Medizinstudium in Zürich ermöglichte.[3]
Auf einer Kranzschleife stand:[3]
DEM GRÜNDER, BEWAHRER UND STREITER FÜR MEDIZINISCHE FRAUENKURSE, DEM FREUND UND BESCHÜTZER DER LERNENDEN JUGEND – DIE ÄRZTINNEN VON 15 JAHRGÄNGEN 1872–1887
Borodin als Komponist
Weltweit bekannt wurde Borodin weniger als Mediziner und Naturwissenschaftler denn als Komponist. Ab etwa 1862, nach den Auslandsaufenthalten in Heidelberg, der Schweiz und Italien, begann er sich verstärkt dem Komponieren zu widmen.[4][6] Seine Werke „sind von russischer Volksmusik, auch von impressionistischer Farbgebung, die an Debussy gemahnt, und orientalischem Kolorit geprägt“.[7] In einem Brief an seine Frau beschreibt er
die Schwierigkeit, zu ein und derselben Zeit sowohl ein Glinka als auch ein Stupischin (ein Staatsbeamter), ein Wissenschaftler, ein Regierungsbeauftragter, ein Künstler, ein Staatsbeamter, ein Philanthrop, ein Vater von Kindern anderer Leute, ein Arzt und invalid zu sein... Am Ende wird man nur das letzte.[8]
Im Jahre 1869 wurde Borodins erste Sinfonie, dirigiert von Balakirew, aufgeführt. Im selben Jahr begann Borodin mit der Arbeit an seiner heroischen Oper „Fürst Igor“, mit den berühmten „Polowetzer Tänzen“. Dieses Werk, dessen Libretto der Komponist selbst aus dem mittelalterlichen Igorlied zusammenstellte, wird häufig als sein bedeutendstes angesehen. Es blieb bis zu seinem Tode unvollendet, was wohl auf Borodins immense Arbeitsbelastung als Forscher zurückzuführen ist. „Fürst Igor“ wurde später von Alexander Glasunow und Nikolai Rimski-Korsakow vollendet und orchestriert.[9] Ebenso unvollendet blieb eine dritte Symphonie, zu deren postumen Vollendung wiederum Glasunow beitrug.[8]
Die Premiere seiner zweiten Symphonie war zunächst ein Fehlschlag, aber als Franz Liszt 1880 in Baden-Baden eine weitere Aufführung unter der Leitung von Wendelin Weißheimer arrangierte, kam Borodin auch außerhalb von Russland zu einigem Ruhm. Begeistert schreibt Borodin an Weißheimer:
„Herr Professor Riedel war so freundlich, mich über den Erfolg meiner Symphonie zu benachrichtigen. Den guten Erfolg habe ich ohne Zweifel der ausgezeichneten Ausführung unter Ihrer talentvollen Leitung zuzuschreiben.“[10]
„Für andere ist die Komposition Aufgabe, Arbeit, Pflicht, bedeutet sie das ganze Leben; für mich ist sie Ruhe, Spaß, eine Laune, die mich von meinen offiziellen Pflichten als Professor, Wissenschaftler ablenkt.“
Das Grabmonument des Komponisten auf dem Tichwin-Friedhof in St. Petersburg zieren Noten aus der Musicalpartitur. Der Song Stranger in Paradise (Polowetzer Tänze aus Fürst Igor; im Musical Tanz der Jungfrauen) wurde ein Welthit und von Tony Bennett, The Four Aces und Bing Crosby erfolgreich interpretiert.
Die Recken (Bogatyri) – Opernfarce nach W. Krylow in fünf Szenen unter Verwendung von Musik von Rossini, Meyerbeer, Offenbach, Serow, Verdi und anderen, instrumentiert von E. Merten, 1867, Uraufführung: Moskau 1867, unveröffentlicht
Fürst Igor – Oper mit einem Prolog und vier Akten, Libretto: A. Borodin auf der Grundlage des russischen Epos Das Lied von der Heerfahrt Igors, 1869–87, unvollendet hinterlassen, von Rimski-Korsakow und Glasunow 1887/88 vervollständigt und teilweise orchestriert, Uraufführung: St. Petersburg 1890
Sinfonie Nr. 3 a-Moll – 1886/87, nur 2 Sätze vollendet, von Glasunow instrumentiert
Kammermusik
Quartett D-Dur – für Flöte, Oboe, Viola und Violoncello, unter Verwendung von Musik von Haydn, 1852–56
Trio g-Moll – für 2 Violinen und Violoncello nach dem russischen Volkslied „Wie hab ich die betrübt“, 1855
Cellosonate c-Moll – 1860, nach einem Thema aus Bachs Sonate Nr. 1 g-Moll BWV 1001
Klaviertrio D-Dur – in drei Sätzen (der vierte ist verloren), 1850er Jahre/Anfang 1860er Jahre
Streichquintett f-Moll – für zwei Violinen, Viola und 2 Violoncelli, 1859/60, Vollendung der Coda im Finale durch Jewlachow (1960)
Klavierquintett c-Moll – 1862
Streichquartett Nr. 1 A-Dur – 1874–79
Streichquartett Nr. 2 D-Dur – 1881
Scherzo D-Dur – für Streichquartett aus der Sammlung „Les Vendredis“, 1882, von Glasunow in der 3. Sinfonie verwendet
Serenata alla spagnola d-Moll – für das Streichquartett „B-LA-F“, in Zusammenarbeit mit Rimski-Korsakow, Glasunow und Ljadow, 1886
Klavierwerke
Klavier zu 2 Händen
Pathetisches Adagio As-Dur – 1849
Beiträge zu den Tati-Tati-Paraphrasen – für 3 Hände, Polka, Trauermarsch, Requiem und Mazurka, in Zusammenarbeit mit Cui, Ljadow, Rimski-Korsakow und Liszt, 1874–78
Petite Suite – 1885, instrumentiert von Glasunow (1889)
Scherzo As-Dur – 1885
Klavier zu 4 Händen
Hélène-Polka d-Moll – 1843
Allegretto Des-Dur – 1861, nach dem 3. Satz des Streichquintetts
Scherzo E-Dur – 1861
Tarantella D-Dur – 1862
Vokalinstrumentale Werke
Lieder
Warum bist du so früh, Sonnenaufgang – Solowjow, 1852–55
Das schöne Mädchen liebt mich nicht länger („Die Liebe ist vergangen“) – Winogradow, für Singstimme, Klavier und Cello, 1853–55
Hört, Freunde, mein Lied – v.Kruse, 1853–55
Das schöne Fischermädchen – Heine, 1854–55 (auch für Singstimme, Klavier und Cello)
Ballade von der schlafenden Prinzessin – Borodin, 1867, von Rimski-Korsakow orchestriert
Das Lied des dunklen Waldes – Borodin, 1868, von Glasunow für zweistimmigen Männerchor und Orchester bearbeitet (1873)
Die Meeresprinzessin – Borodin, 1868
Die falsche Note – Borodin, 1868.
Vergiftet sind meine Lieder – Heine, 1868
Das Meer – Borodin, 1870, orchestriert 1884 und von Rimski-Korsakow (1896)
Aus meinen Tränen – Heine, 1870
Arabische Melodie – Übersetzung von Borodin, 1881
Für die Ufer der fernen Heimat („Aus fremden Landen zurückkehren“) – Puschkin, 1881, orchestriert von Glasunow
Bei Menschen zu Hause – Nekrassow, 1881, von Borodin 1881 auch orchestriert
Stolz („Der Hochnäsige“) – Tolstoi, 1884/85
Bezaubernder Garten („Septain“) – Übersetzung von Borodin, 1885
Vokalwerke
Serenade von 4 Kavalieren für eine Dame – Komisches Quartett für 4 Männerstimmen mit Klavierbegleitung, 1870
Transkriptionen
Sinfonie Nr. 1 für Klavier zu 4 Händen – 1875
Sinfonie Nr. 2 für Klavier zu 4 Händen – 1877
Streichquartett Nr. 1 für Klavier zu 4 Händen – 1887
Eine Steppenskizze aus Mittelasien für Klavier zu 4 Händen – 1882
Das Meer – Orchestrierung, 1884
Fragmente und verlorene Werke
Konzert D-Dur/d-Moll – für Flöte und Klavier, 1847, verloren
Trio für 2 Violinen und Violoncello G-Dur – über ein Thema aus Meyerbeers „Robert der Teufel“, 1847
Le courant – Etüde, 1849, verloren
Fantasie über ein Thema von Hummel – 1849, verloren
Potpurri A-Dur – für Klavier über Themen aus Donizettis Oper „Lucrezia Borgia“, vermutlich als Klavierstimme für ein kammermusikalisches Werk konzipiert, 1852–55, unvollendet, unveröffentlicht
Trio G-Dur – für 2 Violinen und Violoncello in einem Satz?, 1850er Jahre?, fragmentarisch
Großes Trio G-Dur – für 2 Violinen und Violoncello, nur die ersten beiden Sätze vollendet, 1852–56(?)
Streichsextett d-Moll – 2 Sätze, die letzten 2 Sätze verloren, 1860/61
Scherzo h-Moll – für Klavier, 1852, verloren
Misera me! Barbaro sorte – Duett für Tenor, Baß und Klavier, 1850, unvollendet, unveröffentlicht
Fuge – für Klavier, 1862, verloren
Eine südliche Nacht – Parodie für Klavier auf eine Romanze von Rimski-Korsakow, 1866(?), nicht niedergeschrieben
Die Zarenbraut – Entwurf zu einer Oper nach Mey, 1867/68, unvollendet, das Material für andere Werke verwendet
Sechzig Variationen über ein böhmisches Thema – Musikalischer Spaß für Klavier, 1867, nur eine Variation komponiert
Ej uchnjem – Entwurf zu Bearbeitung des russischen Volksliedes für Klavier, 1870er Jahre, unveröffentlicht
Walzer über das Thema des Liedes des Warlaam aus Mussorgskys Oper „Boris Godunow“ – Musikalischer Spaß für Klavier, 70er Jahre, nicht niedergeschrieben
Quadrille über Motive aus Rimski-Korsakows Oper „Das Mädchen von Pskow“ – Musikalischer Spaß für Klavier, 1870er Jahre, nicht niedergeschrieben
Ein Husar, gestützt auf seinen Säbel – Musikalischer Spaß für Klavier nach einer russischen Romanze, 1870er Jahre, nicht niedergeschrieben
Lanzé in den Kirchentonarten – Musikalischer Spaß für Klavier, 1870er Jahre, nicht niedergeschrieben
Mlada – 4. Akt der gemeinsamen Ballettoper von Borodin, Cui, Mussorgsky und Rimski-Korsakow, unvollendet, 1872, Finale von Rimski-Korsakow instrumentiert (1892)
Klavierstück Es-Dur – Fragment, 1879
Gott schütze Kyrill! Gott schütze Methodius! – für Männerchor a cappella, 1885, unvollendet, vollendet von P. Lamm
Diskografie
The Essential Borodin. Decca, London 1997, Nr. 455 632-2
Borodin – Symphonies. Brilliant Classics, Nr. 93348. (Royal Stockholm Philharmonic Orchestra, Ltg.: Gennady Rozhdestvensky, Rec. 1993/94)
Einzelnachweise
↑Werner Oehlmann: Die Musik des neunzehnten Jahrhunderts. Berlin 1953, S. 158.
↑Rika Wettstein: Russen in Baden-Baden: Alexander Borodin. In: Der ultimative Stadtführer Baden-Baden. Medienagentur Waepart Baden-Baden, 2004, archiviert vom Original am 6. August 2020; abgerufen am 16. März 2023.
↑ abcdefghiVolker Klimpel: Alexander Borodin: Arzt, Chemiker und Komponist: zum 125. Todestag des Multitalents. In: Chirurgische Allgemeine. Band13, Nr.5, 2012, ISSN1615-5378, S.312–314 (Vorschau, Kaden-Verlag).
↑Wen Xuan: Borodin in Heidelberg. Der Einfluss der Heidelberger Jahre auf sein wissenschaftliches und musikalisches Werk. In: Heidelberg. Jahrbuch zur Geschichte der Stadt 2024, S. 61–74, hier S. 62.