Bernhard Sekles (geboren als Bernhard Seckeles20. Juni1872[1] (abweichende Angabe: 20. März 1872[Anm. 1]) in Frankfurt am Main; gestorben 8. Dezember1934 ebenda) war ein deutscher Komponist, Dirigent, Pianist und Musikpädagoge.
Bernhard Sekles wurde als Sohn Maximilian Seckeles und Anna (geb. Bischheim) am 20. Juni 1872 geboren. Der Name wurde später auf Bernhard Sekles geändert. Nach privater Unterweisung bei dem Komponisten Wilhelm Hill studierte Sekles ab 1888 am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt am Main bei Engelbert Humperdinck (Instrumentation), Iwan Knorr (Komposition) und Lazzaro Uzielli (Klavier). Nach dem Studienabschluss wurde er Kapellmeister an den Theatern in Heidelberg (1893/94) und Mainz (1895/96). 1896 kehrte er als Lehrer ans Hoch’sche Konservatorium zurück, wo er zunächst Musiktheorie unterrichtete und ab 1906 auch Komposition. 1924 wurde er Direktor des Konservatoriums, das unter seiner Leitung durch die Einrichtung neuer Fächer bedeutend erweitert wurde (neu hinzu kamen: Dirigentenklasse, Opernschule, Privatmusiklehrer-Seminar, Institut für Kirchenmusik, Kurse für musikalische Früherziehung und Erwachsenenbildung).[2] 1928 gründete er zudem – gegen heftigen Widerstand konservativer Kreise – die erste Jazzklasse überhaupt und berief den jungen Mátyás Seiber zu deren Leiter.[3][4][5] Wegen seiner jüdischen Abstammung wurde Sekles zum 31. August 1933 von den Nationalsozialisten entlassen und seine Musik verboten. Sekles starb in einem jüdischen Altersheim in Frankfurt am 8. Dezember 1934[6] an Lungentuberkulose.[7] Er wurde auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Frankfurt am Main begraben.
Am 22. Mai 2022 wurde ein Platz im Frankfurter Stadtteil Westend Bernhard-Sekles-Platz benannt.[8][9][10]
Musik
Sekles begann als Lieder-Komponist in der Nachfolge von Brahms. Es folgten Kammermusiken, Orchester- und Bühnenwerke, mit denen er sich in Richtung Impressionismus bewegte und die ihm zunehmende Bekanntheit brachten. Daneben flossen Elemente außereuropäischer Musikkulturen sowie die kontrapunktische Linearität der „Neuen Sachlichkeit“ in sein Schaffen ein. Dieses weist eine ungewöhnlich große stilistische Bandbreite auf, die sich zwischen spätromantischer Tonalität, exotischer Modalität und gemäßigt moderner Harmonik bis an die Grenze zur Atonalität bewegt. Als besonders charakteristisch und typisch gilt sein musikalischer Exotismus, der ihn als einen Pionier des Transkulturalismus ausweist. Sein Schüler Adorno, der ihn 1922 zum 50. Geburtstag porträtiert hat, hebt Sekles’ lyrische Begabung hervor und erwähnt die Opern Scheherazade und Hochzeit des Fauns sowie die 15 Gesichte für kleines Orchester als besonders gelungen. Adorno lobt Sekles bei dieser Gelegenheit auch für seine „warme Menschlichkeit, die alles Technische mit Leben und Verantwortung erfüllt; auch um seiner klugen Methodik und sachlichen Strenge gegen alles Verblasene, Unorganische und Gemachte willen“.[11] Später hat sich Adorno kritischer über Sekles, der ihm „die atonalen Mucken auszutreiben versuchte“, geäußert.[12] Auf das Erstarken des militanten Antisemitismus gegen Ende der Weimarer Republik reagierte Sekles mit einer zunehmenden Hinwendung zu seinen jüdischen Wurzeln, was seinen musikalischen Niederschlag etwa in dem Orchesterwerk Der Dybuk und dem Männerchor Vater Noah fand. Nach seiner Entlassung durch die Nazis im Jahr 1933 fand er in der Psalmkomposition An den Wassern Babylons saßen wir und weinten (Psalm 137) zu einer sakralen Schlichtheit von großer Eindringlichkeit. Sekles’ Musik verschwand nach ihrem Verbot 1933 aus dem Musikleben und geriet in Vergessenheit. Ihre Wiederentdeckung steht immer noch aus.
Werke (Auswahl)
Kompositionen
Verlage: Schott, Eulenburg, Leuckart, Brockhaus, Oehler, Rahter u. a.
Bernhard Sekles : Lieder, First Recordings (Aus dem Schi-King, Op. 15; Liebeslieder nach slawischen und romanischen Dichtungen, Op. 13 - Excerpts; Lieder-Kreis, Op. 8 - Excerpts), Malte Müller - tenor, Werner Heinrich Schmitt - piano, Toccata Classics TOCC 0651, London 2022.
Dokumente
Briefe von Bernhard Sekles befinden sich im Bestand des Leipziger Musikverlages C. F. Peters im Staatsarchiv Leipzig.
Literatur
Theodor W. Adorno: Bernhard Sekles zum 50. Geburtstag. In: Gesammelte Schriften. Band 18. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-518-57696-8, S. 269 f.
Theodor W. Adorno: Minima Moralia. Suhrkamp, Berlin u. a. 1951, S. 291 ff.
Peter Cahn: Das Hoch’sche Konservatorium in Frankfurt am Main (1878–1978). Kramer, Frankfurt am Main 1979, ISBN 3-7829-0214-9, S. 257–270, 295–297.
Peter Cahn: Eine handschriftlich hinterlassene Formenlehre von Bernhard Sekles. In: Josef Kuckertz (Hrsg.): Neue Musik und Tradition. Festschrift Rudolph Stephan. Laaber, Laaber 1990, ISBN 3-89007-209-7, S. 417–426.
Timo Jouko Herrmann: Spätromantik, Orientalismus und Moderne – Betrachtungen zur Musiksprache der Oper „Schahrazade“ von Bernhard Sekles. In: mr-Mitteilungen Nr. 82, 2013.
Daniela Philippi, Stefana Sabin: Bernhard Sekles. Musikpädagoge und Komponist (= Jüdische Miniaturen, 310), Hentrich & Hentrich, Berlin - Leipzig 2023, ISBN 978-3-95565-597-6.
Joachim Tschiedel: Der „jüdische Scheindirektor“ Bernhard Sekles und die Gründung der ersten europäischen Jazz-Klasse 1928. In: mr-Mitteilungen Nr. 20, September 1996.
Joachim Tschiedel: Bernhard Sekles 1872–1934. Leben und Werk des Frankfurter Komponisten und Pädagogen. Verlag für Musikbücher Wagner, Schneverdingen 2005, ISBN 3-88979-109-3.
↑Die Enzyklopädie Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG) verweist darauf, dass Sekles seinen Geburtstag immer am 20. Juni gefeiert habe, gibt aber dennoch unter Berufung auf die Friedhofsakten und die Grabsteininschrift, die beide von Sekles’ Frau Rosel stammen sollen, den 20. März 1872 als Geburtstag an. Auf dem aktuellen Grabstein ist allerdings der 20. Juni 1872 als Geburtstag zu lesen. Auch gibt die MGG fälschlich den Alten Jüdischen Friedhof als Begräbnisort an, der allerdings schon seit 1928 nicht mehr genutzt wird; tatsächlich befindet sich das Grab auf dem Neuen Jüdischen Friedhof.
Einzelnachweise
↑Frankfurt am Main, Standesbuch 1872, Nr. 1369, abgerufen über https://ancestry.com am 18. Dezember 2022
↑Peter Cahn. Das Hoch’sche Konservatorium in Frankfurt am Main (1878–1978). Zugl. Frankfurt am Main, Univ., Diss., 1980. Waldemar Kramer, Frankfurt am Main 1979, ISBN 3-7829-0214-9, S. 245–6
↑Ankündigung im Dezemberheft der Zeitschrift für Musik. 94, 1927, S. 706.
↑Kathryn Smith Bowers: East Meets West. Contributions of Mátyás Seiber to Jazz in Germany. In: Michael J. Budds (Hrsg.): Jazz and the Germans. Essays on the influence of “hot” American idioms on 20th-century German music. Pendragon Press, Hillsdale, N.Y. 2002, ISBN 1-57647-072-5, S. 119–140, hier S. 122; eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche. Zitat: “This was actually the first academic program for the study of jazz anywhere in the world.”
↑Heribert Schröder: Tanz- und Unterhaltungsmusik in Deutschland 1918–1933. Verlag für Systematische Musikwissenschaft, Bonn 1990, ISBN 3-922626-58-0, S. 378–389; eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche.
↑Theodor W. Adorno: Bernhard Sekles zum 50. Geburtstag. In: Gesammelte Schriften. Band 18. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-518-57695-X, S. 269 f.
↑Theodor W. Adorno: Minima Moralia. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1951, S. 291.