Gwardeisk (russischГвардейск (anhörenⓘ/?), übersetzbar in etwa mit „Gardestadt“; deutsch Tapiau; litauisch Tepliuva, Tepliava; polnisch Tapiewo) ist eine Stadt in der russischenOblast Kaliningrad mit 14.122 Einwohnern (Stand 1. Oktober 2021).[1] Die Stadt ist das administrative Zentrum des Rajons Gwardeisk und Verwaltungssitz der kommunalen Selbstverwaltungseinheit Stadtkreis Gwardeisk.
Die Stadt liegt in der historischen Region Ostpreußen auf einer bergigen Anhöhe am Fluss Pregel auf einer Höhe von zehn Metern über dem Meeresspiegel,[2] etwa 35 Kilometer östlich von Königsberg (Kaliningrad).
Der bis 7. September 1946 offizielle Ortsname entwickelte sich von Tapiow (1255) über Castrum Tapiow, quod Prutheni nominant Surgurbi (Dusburg, 1326) zur endgültig deutschen Bezeichnung Tapiau, die seit 1684 nachgewiesen ist. Dieser Name ist abgeleitet aus den prußischen Wörtern „tape, teplu, toplu, tapis“ = warm, „tape“ = Wärme, Temperatur und „sur garbis“ = um den Berg herum.
Westlich von Tapiau ist eine prußische Wehranlage belegt. Sie sollte – ebenso wie die zwischen Deime und Pregel gelegene prußische Burg – einst das Samland vor den Wikingern schützen, die durch einen damaligen Durchbruch in der Nehrung bei Sarkau leicht in das Haff eindringen konnten. Anstelle dieser Holzburg baute der Deutsche Orden 1351 die Burg Tapiau. 1385 wurde hier der Sohn des litauischen GroßfürstenKęstutis, Vytautas (Witold), getauft, der später mit seinem Vetter Jagiello die polnisch-litauische Union errichtete und regierte. Nach der Verlegung des Ordenshochsitzes übernahm Tapiau die Ordensbibliothek sowie das Archiv.
Die Stadtrechte erhielt Tapiau 1722.
Im Jahre 1755 wurde im Tapiauer Forst der letzte freilebende Wisent von einem Wilderer erschossen.
1895 umfasste die Stadt ein Postamt zweiter Klasse, Telegraph, Warendepot der Reichsbank, Gärtnerlehranstalt mit Obstweinfabrik, Provinzial-Besserungs- und Landarmenanstalt, Biskuit- und Zuckerfabrik, Dampfschneide- und Mahlmühlen, Brauereien, Schifffahrt, Handel mit Holz, Steinen, Getreide, Butter und Käse. In der Besserungsanstalt wurden Decken, grobes Tuch (Want), Baumwollzeug (Nessel), Strohmatten und Fischernetze angefertigt. Am Anfang des 20. Jahrhunderts hatte Tapiau eine evangelische Kirche, eine katholische Kapelle, eine Synagoge, das Amtsgericht Wehlau und eine Oberförsterei.[3] Teile der Landarmenanstalt wurden Anfang des 20. Jahrhunderts zur Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Tapiau.[4]
Anfang der 1930er Jahre veranlasste der Bürgermeister Wilhelm Neuland eine Ausstellung im Rathaus mit Gemälden von Lovis Corinth, dem großen Maler, der in Tapiau geboren wurde.
Am 25. Januar 1945 wurde Tapiau von der Roten Armee eingenommen. Als eine der wenigen Städte Nordostpreußens überstand Tapiau den Zweiten Weltkrieg ohne größere Schäden und ist auch heute vergleichsweise gut erhalten. Nach Kriegsende kam Tapiau unter sowjetische Verwaltung.
Von der Reformation bis 1945 bestand in Tapiau eine evangelische Kirchengemeinde mit zwei Pfarrstellen an der Stadtkirche und einer Predigerstelle in der Anstaltsgemeinde der Heil- und Pflegeanstalt. Zu ihr gehörte ein weitflächiges Kirchspiel mit mehr als 20 Orten. Im Jahre 1925 wurden bei einer Volkszählung in Tapiau 9000 dazugehörige Kirchenglieder gezählt. Tapiau gehörte zum KirchenkreisWehlau (heute russisch Snamensk) innerhalb der Kirchenprovinz Ostpreußen der Kirche der Altpreußischen Union. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges brach aufgrund Flucht und Vertreibung der einheimischen Bevölkerung das evangelisch-kirchliche Leben in Tapiau ein.
Bis 1945 gab es in Tapiau eine römisch-katholische Gemeinde, die 1904 entstand und deren Pfarrkirche die St.-Joseph-Kirche war. Die Gemeinde gehörte zum Bistum Ermland. Heute besteht wieder eine katholische Pfarrei, die im Haus Sankt Josef in der uliza Telmana (Thälmannstraße) ihren Sitz hat und zurzeit (Stand: 2019) von Steyler Missionaren betreut wird.
Es gibt mehrmals täglich eine Busverbindung nach Kaliningrad-Stadt. Der Bus startet vom Marktplatz aus.
Wirtschaft
Neben einem Internetcafé, einer Bankfiliale mit Geldautomat sowie diversen Einzelhandels- und Lebensmittelgeschäften prägen zahlreiche Kioske, in denen vor allem alkoholische Getränke verkauft werden, das Stadtbild. Rund um die Stadt haben sich seit 2004 diverse Landwirtschaftsbetriebe und mittelständische Betriebe, u. a. für die Fertigung von Haushaltsgeräten, neu angesiedelt. Ferner gibt es in Gwardeisk eine Autowaschanlage am Ortseingang, einen Handyshop und verschiedene Bars. An den Wochenenden bieten Privatpersonen häufig landwirtschaftliche Erzeugnisse am Straßenrand zum Verkauf an.
Die aus sowjetischer Zeit stammenden Wohnblocks in der Telmana und an der Ausfallstraße nach Kaliningrad werden im Winter ausschließlich mit individuell nicht regulierbarer Fernwärme beheizt. Seit ihrem Bau in den 1960er und 1970er Jahren sind diese heute weitgehend in Privatbesitz befindlichen Wohnblocks an den Außenfassaden und vielfach auch im Inneren unverändert geblieben.
Der Hausmüll wird in Gwardeisk auf unweit der Stadt gelegenen Deponien gesammelt und dort von Zeit zu Zeit verbrannt, was zu einer Beeinträchtigung der Luft- und Trinkwasserqualität führt.
August Eduard Preuß: Preußische Landes- und Volkskunde oder Beschreibung von Preußen. Ein Handbuch für die Volksschullehrer der Provinz Preußen, so wie für alle Freunde des Vaterlandes. Gebrüder Bornträger, Königsberg 1835, S. 478–479, Nr. 93; Textarchiv – Internet Archive.
Max Toeppen: Ueber preussische Lischken, Flecken und Städte. Ein Beitrag zur Geschichte der Gemeindeverfassungen in Preußen. In: Altpreußische Monatsschrift, 1867, Band 4, S. 511–536, insbesondere S. 528–536, Königsberg; Textarchiv – Internet Archive.
Daniel Heinrich Arnoldt: Kurzgefaßte Nachrichten von allen seit der Reformation an den lutherischen Kirchen in Ostpreußen gestandnen Predigern. Königsberg 1777, S. 38–41.
Tapiau. In: Meyers Gazetteer (mit Eintrag aus Meyers Orts- und Verkehrslexikon, Ausgabe 1912, und alter Landkarte der Umgebung von Tapiau).
↑ abТаблица 1.10 «Численность населения городских округов, муниципальных районов, муниципальных округов, городских и сельских поселений, городских населенных пунктов, сельских населенных пунктов» Программы итогов Всероссийской переписи населения 2020 года, утвержденной приказом Росстата от 28 декабря 2021г. № 963, с данными о численности постоянного населения каждого населенного пункта Калининградской области. (Tabelle 1.10 „Bevölkerungsanzahl der Stadtkreise, munizipalen Rajons, Munizipalkreise, städtischen und ländlichen Siedlungen [insgesamt], städtischen Orte, ländlichen Orte“ der Ergebnisse der Allrussischen Volkszählung von 2020 [vollzogen am 1. Oktober 2021], genehmigt durch die Verordnung von Rosstat vom 28. Dezember 2021, Nr. 963, mit Angaben zur Zahl der Wohnbevölkerung jedes Ortes der Oblast Kaliningrad.)
↑ abTapiau, in: Meyers Gazetteer (mit Eintrag aus Meyers Orts- und Verkehrslexikon, Ausgabe 1912, und alter Landkarte der Umgebung von Tapiau).
↑ abMeyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Auflage, Band 19, Leipzig und Wien 1909, S. 319.
↑Boris Böhm, Hagen Markwardt, Ulrich Rottleb: „Wird heute nach einer Landes-Heil- und Pflegeanstalt in Sachsen überführt“ – Die Ermordung ostpreußischer Patienten in der nationalsozialistischen Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein im Jahre 1941. Hrsg.: Leipziger Universitätsverlag. 2015, ISBN 978-3-86583-976-3, S.31ff.
↑ abcdAlexander August Mützell und Leopold Krug: Neues topographisch-statistisch-geographisches Wörterbuch des preussischen Staats. Band 5: T–Z, Halle 1823, S. 392–399, Ziffer 726 (Google Books).
↑Alexander August Mützell und Leopold Krug: Neues topographisch-statistisch-geographisches Wörterbuch des preussischen Staats. Band 5: T–Z, Halle 1823, S. 3, Ziffern 99–101.
↑Geographisches Institut: Neue Allgemeine Geographische und Statistische Ephemeriden. Band 30, Weimar 1830, S. 24.
↑August Eduard Preuß: Preußische Landes- und Volkskunde oder Beschreibung von Preußen. Ein Handbuch für die Volksschullehrer der Provinz Preußen, so wie für alle Freunde des Vaterlandes. Gebrüder Bornträger, Königsberg 1835, S. 478–479, Nr. 93; Textarchiv – Internet Archive.
↑Adolf Schlott: Topographisch-statistische Uebersicht des Regierungs-Bezirks Königsberg, nach amtlichen Quellen. Hartung, Königsberg 1861, S. 232–233, Ziffer 361.
↑ abcdeMichael Rademacher: Wehlau. Online-Material zur Dissertation, Osnabrück 2006. In: eirenicon.com. Abgerufen am 1. Januar 1900