Hans Spemann war der älteste Sohn des Verlegers Wilhelm Spemann und seiner Ehefrau Lisanka geb. Hoffmann (1839–1871).[1] Von 1878 bis 1888 besuchte er das Eberhard-Ludwigs-Gymnasium in Stuttgart und arbeitete nach dem Schulabschluss für ein Jahr im Geschäft seines Vaters, nach seinem Militärdienst (1889–1890) für ein Jahr lang als Buchhändler. 1891 schrieb er sich an der medizinischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg ein. Dort fühlte er sich besonders durch die Arbeiten des vergleichenden Anatomen Carl Gegenbaur angezogen. Während des Studiums wurde er Mitglied der Studentenverbindung Karlsruhensia zu Heidelberg im Miltenberger Ring.
Im Winter 1893/94 studierte er in München, wo er mit August Pauly Bekanntschaft schloss. Vom Frühjahr 1894 bis 1908 arbeitete er am Zoologischen Institut in Würzburg, wobei er das Studium der Zoologie, Botanik und Physik 1895 abschloss und dort promoviert wurde.[2] Seine Lehrer waren dabei Theodor Boveri, Julius Sachs und Wilhelm Röntgen gewesen, die alle einen besonderen Einfluss auf ihn ausgeübt hatten.[3]
1898 habilitierte er sich mit einer zoologischen Arbeit für das Fach Medizin.[4]
Spemann führte bereits 1902 auf Basis von Arbeiten von Jacques Loeb und August Weismann (Keimplasmatheorie) erste wichtige Versuche zur Zellteilung durch. Es gelang ihm beispielsweise, die beiden Zellen des Zwei-Zell-Stadiums eines Salamanders mit einem Säuglingshaar zu trennen, wodurch er künstlich Zwillinge erzeugte. Durch dieses Schnürungsexperiment und weitere Versuche an mehrzelligen Embryonalstadien wurde nachgewiesen, dass die Furchungszellen eines Embryos auf frühen Entwicklungsstadien noch sämtliche für die weitere Entwicklung notwendige Erbinformationen beinhalten.[5]
1935 erhielt Spemann für den gemeinsam mit Hilde Mangold entdeckten und später nach Spemann benannten Organisator-Effekt während der Embryonalentwicklung den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Er und seine Schüler führten ab 1921 bahnbrechende Studien hierzu durch.[8] Spemann hatte durch Transplantations-Experimente an der frühen Gastrula nachgewiesen, dass sich ein Gewebe ortsspezifisch verhält, also sich gemäß der Stelle, an die das Gewebe in die Empfänger-Gastrula verpflanzt wurde, entwickelt, und nicht gemäß der Herkunftsstelle im Spenderorganismus. Die Zellen waren in diesem frühen Entwicklungsstadium noch nicht determiniert. Bei Transplantationsexperimenten an der späten Gastrula ergab sich dagegen ein anderer Effekt: Hier entwickelte sich das Transplantat herkunftsgemäß. Das heißt, das Gewebe war nun determiniert.
Bereits 1938 schlug Spemann das Verfahren des Kerntransfers als eine Möglichkeit zur Untersuchung des Entwicklungspotentials von Kernen in differenzierten Zellen vor. Doch erst später wurde dieses Verfahren in der Forschung angewendet.
Spemann starb nach einer längerdauernden Herzerkrankung am 12. September 1941 und wurde am 15. September eingeäschert.[9]
Familie
Hans Spemann war seit 1895 mit Klara Spemann, geborene Binder (1874–1964), verheiratet. Aus der Ehe gingen drei Söhne und eine Tochter hervor. Einer der Söhne war der Schriftdesigner und Kalligraph Rudolf Spemann (1905–1947, auch Rudo Spemann).
„Zuerst hatte mir Boveri vorgeschlagen, die Entwicklung der Geschlechtsorgane des Bandwurms zu bearbeiten, und erst als ich schüchtern einwandte, daß mich das in der rein juristischen Familie meiner Braut völlig kompromittieren würde, ging er lachend auf einen anderen Wurm über, dessen klangvoller Name Strongylus paradoxus einigermaßen damit aussöhnen konnte, daß er in der Lunge des Schweins zuhause ist.“ (Forschung und Leben. 1943).
Schriften
mit Hilde Mangold: Über Induktion von Embryonalanlagen durch Implantation artfremder Organisatoren. In Archiv für mikroskopische Anatomie und Entwicklungsmechanik. Band 100, 1924, S. 599–638.
Hermann Braus †. In: Die Naturwissenschaften. 13. Jahrgang, Heft 13, 27. März 1925, S. 253–261.
Experimentelle Beiträge zu einer Theorie der Entwicklung. Deutsche Ausgabe der Silliman Lectures, gehalten an der Yale Univ. im Spätjahr 1933. Julius Springer, Berlin 1936.
Peter E. Fäßler: Hans Spemann 1869–1941: Experimentelle Forschung im Spannungsfeld von Empirie und Theorie; ein Beitrag zur Geschichte der Entwicklungsphysiologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Springer, 1997, ISBN 3-540-62557-7.
Peter E. Fäßler, Klaus Sander: Hilde Mangold (1898–1924) and Spemann's organizer: achievement and tragedy. In: Roux's Arch. Dev. Biol. 205, 1996, S. 323–332.
Werner E. Gerabek: Hans Spemann. In: Horst Kant und andere: Harenberg Lexikon der Nobelpreisträger. Alle Preisträger seit 1901. Ihre Leistungen, ihr Leben, ihre Wirkung. Hrsg. vom Harenberg Lexikon Verlag. Harenberg, Dortmund 1998, S. 183–185.
Werner E. Gerabek: Spemann, Hans. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1346 f.
Otto Mangold: Hans Spemann : ein Meister der Entwicklungsphysiologie – sein Leben und sein Werk, Stuttgart : Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 1982, 2. Auflage, ISBN 978-3-8047-0698-9 (Reihe Große Naturforscher, Bd. 11)
Otto Mangold: Hans Spemann. Der Erfinder der embryonalen Mikrochirurgie, ein Meister der Entwicklungsphysiologie In: Hans Schwerte, Wilhelm Spengler (Hrsg.): Forscher und Wissenschaftler im heutigen Europa. 2. Mediziner, Biologen, Anthropologen. (= Gestalter unserer Zeit. Band 4). Stalling, Oldenburg 1955, S. 228–236 (Die Hgg. waren zuvor SS-Kader)
Klaus Sander: Hans Spemann (1869–1941): Entwicklungsbiologe von Weltruf. In: Biologie in unserer Zeit. 15, 1985, S. 112–119.
Klaus Sander, Peter E. Fäßler: Introducing the Spemann-Mangold organizer: experiments and insights that generated a key concept in developmental biology. In: Int. J. Dev. Biol. 45, 2001, S. 1–11.
↑Hans Spemann: Über die erste Entwicklung der Tuba eustachii und des Kopfskelets von Rana temporaria. Medizinische Habilitationsschrift Würzburg 1898.
↑Andreas Sentker: Die Chronik des Klonens. In: DIE ZEIT ONLINE. ZEIT ONLINE GmbH, 15. März 2001, abgerufen am 11. Mai 2020.
↑ abErnst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-596-16048-0, S. 591.
↑Marion Kazemi, Eckart Henning: Chronik der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften. 1911–2011 (= 100 Jahre Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften. Teil I). Duncker & Humblot, Berlin 2011, ISBN 978-3-428-13623-0, S. 992 und andere. Als Direktor eines KWI war er „Wissenschaftliches Mitglied der KWG“.
↑Paul Diepgen, Heinz Goerke: Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 63.
↑Holger Krahnke: Die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 1751–2001 (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse. Folge 3, Bd. 246 = Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Mathematisch-Physikalische Klasse. Folge 3, Bd. 50). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-82516-1, S. 229.