Eine Herdenzephalitis ist eine an wenigstens einer Stelle (einem „Herd“) auftretende Enzephalitis (Entzündung des Gehirns). Diese wird zumeist durch Bakterien, seltener durch Pilze oder andere Erreger hervorgerufen und daher auch als septische Herdenzephalitis bezeichnet.
Die körpereigene Abwehr (Immunität) führt zu einer Einschmelzung des hochgradig infizierten Gewebes und zur Abgrenzung gegen das umgebende Gewebe. Dadurch entsteht ein Abszess, der Hirnabszess oder Gehirnabszess[2] (auch zerebraler Abszess[3]). Zugrunde liegen können ein Trauma (traumatischer Abszess), eine Fortleitung auf dem Lymphweg (fortgeleiteter Abszess) oder auf dem Blutweg (metastatischer Abszess).[4] Bei diesem Vorgang kommt es zur Volumenzunahme (Raumforderung), die aufgrund der knöchern begrenzten Schädelhöhle rasch zur Drucksteigerung mit schweren Komplikationen (z. B. Einklemmung) führen kann. Beim Hirnabszess werden vier Stadien[5] mittels Computertomografie unterschieden:
späte „Zerebritis“: Hypodensität mit zentraler scharf begrenzter ringförmiger Kontrastmittel-Anreicherung
frühe Kapselbildung
späte Kapselbildung: bereits ohne Kontrastmittelgabe als flaue Hyperdensität mit zentraler Hypodensität sichtbar.
Septisch-embolische Herdenzephalitis
Durch Verschleppung von infizierten Thromben kommt es zu einer Kombination aus ischämischem Schlaganfall und gleichzeitiger Entzündung. Der Verlauf ist oft durch die Infektion des nicht mehr durchbluteten Hirngewebes (dort mangels Durchblutung nur minimale Immunität) sowie Einblutungen in den Infarkt in vielen Fällen ungünstig.
Ausgangspunkt ist fast immer eine bakterielle Entzündung der Herzinnenwand (Endokard) und dort besonders der Herzklappen (Endokarditis).
Septisch-metastatische Herdenzephalitis
Bei Vorkommen von Bakterien im fließenden Blut (Septikämie) kann es zur Erregerstreuung in das Gehirn kommen, weshalb diese Form der Gehirnentzündung als metastatische Herdenzephalitis[6] bezeichnet wird. Dies ist nur im Rahmen einer schweren entzündlichen Allgemeinerkrankung oder zumeist Sepsis möglich. Die weitere Entwicklung wird überwiegend durch die zugrunde liegende Infektion bestimmt.
Danach muss gegebenenfalls der Ursprung der Erreger gesucht werden. Als Fokus kommen die Mundhöhle, eine Mastoiditis, Sinusitis, Otitis oder Endokarditis in Betracht.[7] Hierfür ist häufig eine Computertomographie des Brust- und Bauchraumes (mit Kontrastmittel) oder der Nasennebenhöhlen notwendig. Ferner hat die Echokardiographie eine hohe Bedeutung.
Therapie
Herdsanierung
Wo immer es möglich ist, sollte der entzündliche Herd durch Operation (etwa über eine Trepanation[8]) oder Absaugung[9] entfernt werden. Hierfür ist die Neurochirurgie zuständig.
Dieses Vorgehen ist jedoch nicht immer möglich, z. B. wenn der Fokus in einer besonders wichtigen Hirnregion liegt (z. B. Sprachzentrum oder Hirnstamm). Dann ist nur eine medikamentöse Behandlung (s. u.) möglich, die dann aber unter Umständen wesentlich länger erfolgen muss.
Antibiotika
Nach Gewinnung von Material für die mikrobiologische Untersuchung (s. o.) ist bereits beim Verdacht auf eine Herdenzephalitis eine Behandlung mit Antibiotika erforderlich. Die Behandlung erfolgt anfangs mit breitem Wirkspektrum (z. B. Cephalosporin der 3. Generation + staphylokokkenwirksames Penicillin). Nach Bestimmung des Antibiogramms kann auf eine gezielte Therapie umgestellt werden (zumeist mit weniger breitem Spektrum).
In Sonderfällen erfolgt die Verabreichung von Antibiotika auch intrathekal.[10]
Bei Verdacht auf eine Infektion mit Pilzen muss entsprechend zusätzlich mit einem Antimykotikum (z. B. Amphotericin B) behandelt werden.
Behandlung der Grunderkrankung
Je nach Ausgangspunkt der Infektion darf die Behandlung der Grunderkrankung nicht versäumt werden, besonders bei einem aus Ohr oder Nasennebenhöhle weitergeleiteten Hirnabszess ist dieser Primärherd umgehend chirurgisch zu sanieren. Bei einer Endokarditis kann z. B. das Einsetzen einer künstlichen Herzklappe notwendig sein. Andere Eiterherde (z. B. infizierte Wunden, Zahnwurzelabszess, Osteomyelitits usw.) sollten nach Möglichkeit operativ saniert werden.
↑Alphabetisches Verzeichnis zur ICD-10-WHO Version 2019, Band 3. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), Köln, 2019, S. 221+554
↑Vgl. etwa auch E. A. Kahn: Treatment of the brain abscess. In: Univ. Hosp. Bull. Ann Arbor. Band 2, 1936, S. 1 ff.
↑Vgl. etwa auch J. F. Weeds: Case of cerebral abscess. In: Nashville J. M. & S. Band 9, 1872, S. 156 ff.
↑Immo von Hattingberg: Entzündungen des Gehirns. In: Ludwig Heilmeyer (Hrsg.): Lehrbuch der Inneren Medizin. Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 1298–1303, hier: S. 1300: Hirnabsceß (brain abscess, abcès cérébral).
↑Marianne Abele-Horn: Antimikrobielle Therapie. Entscheidungshilfen zur Behandlung und Prophylaxe von Infektionskrankheiten. Unter Mitarbeit von Werner Heinz, Hartwig Klinker, Johann Schurz und August Stich, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Peter Wiehl, Marburg 2009, ISBN 978-3-927219-14-4, S. 68–72 (Hirnabszess).
↑Immo von Hattingberg: Entzündungen des Gehirns. In: Ludwig Heilmeyer (Hrsg.): Lehrbuch der Inneren Medizin. Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 1298–1303, hier: S. 1299: Metastatische Herdencephalitis (metastatic encephalitis, encéphalité métastatique).
↑E. Braun: Fall von Schwartze. Die Erfolge der Trepanation beim otitischen Hirnabszess. In: Archiv für Ohrenheilkunde. Band 29, 1890, S. 161 ff.
↑Wilhelm Theodor Renz: Erste Heilung eines traumatischen Gehirnabscesses durch consequente Aspiration des Eiters ohne vorhergegangene Trepanation. Laupp, Tübingen 1867.
↑Marianne Abele-Horn (2009), S. 72 (Intraventrikuläre Therapie).
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