Der britische Großangriff zwischen dem Canal-du-Nord im Norden und dem Canal-de-Saint-Quentin im Süden auf einer Frontbreite von etwa 10 Kilometern mit zwei britischen Armee-Korps sollte im November 1917 einen entscheidenden Durchbruch durch die deutschen Verteidigungsstellungen westlich von Cambrai ermöglichen. Und für die britische Kavallerie die Chance zur Eroberung weiter Landstriche des Hinterlandes ermöglichen. Hierzu wurden den angreifenden Infanterie-Divisionen jeweils eine Anzahl von Tanks (Panzern) des inzwischen mit einer beachtlichen Anzahl von Fahrzeugen ausgerüsteten britischen Tank Corps beigegeben. Auch sollte das britische Royal Flying Corps den Angriff unterstützen. Insbesondere der geplante Einsatz von 476 Tanks bei der Offensive, von denen letztlich etwa 350 Panzer einsatzbereit waren und in zwei Angriffswellen das britische III. Corps unterstützen, führte dazu, dass diese Schlacht als erste Schlacht mit systematischer Panzerunterstützung in die Geschichte einging.
Panzerabwehr beim deutschen Heer
Der erste Einsatz britischer Tanks am 15. September 1916 traf die deutschen Verteidiger unvorbereitet und verursachte auf deutscher Seite einen Schock. Auch wenn von geplanten 49 Tanks nur 14 auf einer weit gezogenen Front angriffen und deshalb eine Abwehr gelang, hätte die deutsche Führung erkennen können, dass es erforderlich ist, sich besser auf künftige Angriffe vorzubereiten. Die deutschen Maßnahmen zur Abwehr von Panzern basierten auf einzelnen Feldgeschützen, die in vorgezogenen Stellungen positioniert wurden, auf dem massierten Beschuss von Sehschlitzen mit Gewehren und Maschinengewehren und dem Einsatz von Geballten Ladungen gegen die Fahrwerkskomponenten, insbesondere die Gleisketten, der gegnerischen Kampfwagen.[1]
Für die in großem Umfang vorhandenen leichten Feldgeschütze im Kaliber 7,7 cm wurde eine neue spezielle Munition für die Abwehr von Panzer zur Verfügung gestellt. Die K.Gr. 15 m.P. war ein Geschoss, welches durch einen verstärkten Panzerkopf die Panzerung des Tanks durchschlagen konnte und im Fahrzeug explodierte. Bei den Verbänden der Feldartillerie wurde nun auch die Abwehr gegnerischer Panzerangriffe in die Ausbildung aufgenommen. Die Stellungen der nicht besonders weit reichenden Feldartillerie lagen üblicherweise hinter oder in der letzten Verteidigungslinie des deutschen Grabensystems.
Lone gunner of Flesquières
Am Morgen des 20. November 1917, begann nach kurzer Artillerievorbereitung um 6:20 Uhr der britische Angriff auf die deutschen Stellungen.
Östlich von Flesquières durchdrangen die Panzer und die Infanterie das deutsche Stellungssystem und stießen 8 km weit vor. Vor Flesquières ließ Major-General George Harper seine Männer der 51st Highland Division wegen des offenen ansteigenden Geländes zurückfallen und die Panzer ohne direkte Infanterie-Begleitung vorrollen. Hierbei erlitten die Panzer schwere Verluste durch das Feuer deutscher Feldartilleriegeschütze, wobei 16 der Fahrzeuge vernichtet wurden oder ausfielen.
„Many of the hits upon our tanks at Flesquieres were obtained by a German artillery officer who, remaining alone at his battery, served a field gun single-handed until killed at his gun. The great bravery of this officer aroused the admiration of all ranks. – Viele der Treffer auf unsere Panzer bei Flesquières wurden von einem deutschen Artillerieoffizier erzielt, der allein an seiner Batterie blieb und ein Feldgeschütz alleine bediente, bis er an seinem Geschütz getötet wurde. Die große Tapferkeit dieses Offiziers erregte die Bewunderung aller Ränge.“
Haigs Depesche wurde am 4. März 1918 als Ergänzung der London Gazette vom 1. März 1918 veröffentlicht[3] und später in den damaligen Medien ausführlich besprochen.[4]
„the advance was hung up at Flesquières by a Hun anti-tank gun which stopped a certain part of our line for twenty-four hours. When the anti-tank gunner was killed we were able to advance again. This gunner was found to be an officer, who, having had all his gun crew killed, worked the gun himself and knocked out fourteen tanks. One of our tank officers spoke very highly of the courage of this German officer. – der Vormarsch bei Flesquières wurde von einer Panzerabwehrkanone der Hunnen (abfällig für Deutsche) aufgehalten, die einen Teil unserer Kräfte für vierundzwanzig Stunden stoppte. Als der Panzerabwehrkanonier getötet wurde, konnten wir wieder vorrücken. Dieser Kanonier war ein Offizier, der, nachdem seine gesamte Geschützmannschaft getötet worden war, das Geschütz selbst bediente und vierzehn Panzer ausschaltete. Einer unserer Panzeroffiziere rühmte den Mut dieses deutschen Offiziers sehr.“
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges fand der Vorfall bspw. in Berichten von Arthur Conan Doyle (History of the Western Front), Philip Gibbs (history of the war 1920) und Erwin Zindler Erwähnung.[6] Nach heutigem Forschungsstand handelt es sich um eine Legende.
Die zeitgenössischen Berichte unter anderem des Feldmarschall Haig sprachen zunächst nur von einem namenlosen Offizier. Die Augenzeugenberichte variierten zwischen einer kompletten Geschützbesatzung und einem einzelnen Soldaten, durch deren Einsatz zwischen 5 und 16 Panzer abgeschossen worden waren.
Der Stabsoffizier Captain Geoffrey Dugdale berichtete nach einer Besichtigung des Schlachtfelds an Haig[7]
„The first thing we came to was a German field battery, every gun out of action with the exception of one. By this was lying a single German officer, quite dead. In front of him were five tanks, which he had evidently succeeded in knocking out himself, single-handed, with his gun. A brave man. - Das erste zu dem wir kamen war eine deutsche Feldartillerie-Batterie, bei der alle Geschütze zerstört waren bis auf eines. Neben diesem lag ein ziemlich toter einzelner deutscher Offizier. Vor ihm lagen fünf zerstörte Tanks, die er offenbar selber und alleine mit seinem Geschütz ausgeschaltet hatte. Ein tapferer Mann.“
– Geoffrey Dugdale
Haig kam die Legende eines einsamen Schützen durchaus gelegen als Erklärung für den mangelnden Erfolg der Operation bei Flesquières.
Johannes Joachim Theodor Krüger als Lone gunner
Erst Anfang der 1930er Jahre setzten Bemühungen ein, dem Schützen von Flesquières einen Namen zuzuordnen, und Erwin Zindler brachte Johannes Krüger in die Diskussion ein.[8]
Bei dem von Dugdale tot aufgefundenen Offizier kann es sich allerdings nicht um Krüger gehandelt haben, da dieser erst am 10. Dezember im Lazarett starb.
Todesumstände
Krüger war Unteroffizier in der 8. Batterie des Feldartillerie-Regiments No. 108 und starb in einem britischen Militärlazarett, nachdem er am 20. November 1917 in der Schlacht von Cambrai verwundet worden war. In dieser Schlacht wurde dazu übergegangen, die anrückenden britischen Panzer der 51st (Highland) Division unmittelbar durch direktes Richten zu bekämpfen. Nachdem seine Batterie aufgerieben worden war, soll Krüger als letzter Übriggebliebener weiterhin eines der Feldgeschütze bedient haben. Als Stoßtrupps in die Stellungen eindrangen, wurde er verwundet und gefangen genommen.[9][10]
Deutsche Rezeption
Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges – Reichsehrenmal der deutschen Feldartillerie
Die von Zindler vertretene These es hätte sich beim Lone gunner von Flesquières um Johannes Krüger gehandelt, wurde in der Phase der deutschen Wiederaufrüstung ab 1933 gerne für politische Zwecke aufgegriffen. Die Gedenkkultur an die Heldenmythen der deutschen Streitkräfte wurde im Dritten Reich aktiv unterstützt und der Bau von Gedenkstätten gefördert. Hierbei wurde auch die inzwischen Johannes Krüger zugeschriebene Geschichte des heldenhaften Lone gunners, in Form eines Denkmals 1936 im westdeutschen Köln genutzt, indem als sogenanntes Reichsehrenmal der deutschen Feldartillerie eine Gedenkstätte errichtet wurde.
Schon seit 1920 gab es eine Kameradschaftsorganisation, den "Waffenring der Feldartillerie", die am 6. und 7. Oktober 1928 den ersten Waffentag der Feldartillerie in Berlin organisierte. Der 3. Waffentag der Feldartillerie wurde 1934 in Köln durchgeführt, obwohl das Rheinland zu dieser Zeit noch demilitarisiert war und erst im März 1936 neue Garnisonstruppen in die Rheinmetropole einzogen.
Das vom Bildhauer Hans Dammann entworfene Objekt zeigte Johannes Krüger als Soldat im Mantel, der im nächsten Moment eine Handgranate in aufrechter Haltung über ein vor ihm stehendes, zerstörtes Geschütz vom Typ FK 96 n.A. werfen wird. Die Skulptur stand auf einem hohen steinernen Sockel im Bereich des heutigen Konrad-Adenauer-Ufers (damals Kaiser-Friedrich-Ufer). Zwischen 1937 und 1946 hieß dieser Abschnitt der Straße am Rheinufer nach dem 1937 verstorbenen, preußischen General Max von Gallwitz dann Gallwitzufer.
Heute sind von dem damals vom Rhein aus zu sehenden Denkmal nur noch die Treppenstufen, die nunmehr in den Skulpturenpark Köln führen, vorhanden. Die Skulptur war während der alliierten Luftangriffe derart schwer beschädigt worden, dass man bei der Suche auf Metall für die Rüstungsindustrie nicht vor der Demontage zurückschreckte. Der prägnante Sockel mit der Inschrift "Der deutschen Feldartillerie" wurde letztlich vor dem Beginn der belgischen Besatzung in Köln 1945 durch britische Pioniere gesprengt.[11][12][13]
Nach dem Zweiten Weltkrieg
Durch die Bundeswehr
Im Rahmen der Wiederaufrüstung der deutschen Streitkräfte nach dem Zweiten Weltkrieg während des Kalten Kriegs wurden neun Jahre nach der Gründung 1966 im rheinland-pfälzischenKusel, das in einer ländlichen Gegend auf halber Strecke zwischen Idar-Oberstein und Saarbrücken gelegen ist, eine Kaserne für die Feldartillerie der Bundeswehr nach Krüger benannt. Hierbei war ein 1938 als Barackenlager errichteter Stützpunkt seit 1964 mit einer zeitgemäßen Bebauung versehen worden.
Im Jahr 1966 wurde die nunmehr als Unteroffizier-Krüger-Kaserne benannte Einrichtung mit dem neu aufgestellten Feld-Artillerie-Lehr-Bataillon 310 belegt. In der Begründung der Namensgebung durch das BMVg heißt es, dass der Namensgeber
...durch seinen im ersten Weltkrieg bewiesenen Heldenmut bis heute eine Vorbildfunktion hat.
und
Nachdem er, allein an seinem Geschütz verblieben, den Befehl für den Rückzug überhört hatte, vernichtete er in heldenhafter Weise 16 feindliche Panzer, bevor er selbst verwundet wurde und wenig später seinen Verletzungen erlag..
Musikalische Darstellung (2024)
Im Jahr 2024 wurde aufgrund der Veröffentlichung des Titels "Panzerhenker" im Black-Metal-Projekt "Kanonenfieber" eine Rezension durch den wissenschaftlichen Leiter des Deutschen Panzermuseums, Ralf Raths, auf YouTube veröffentlicht. Hierbei wurde durch den Museumsleiter ausführlich auf die Umstände und Hintergründe der Schlacht, die Zuordnung von Krüger als Lone gunner und die bisherigen Darstellungen in Literatur und Medien (auch Wikipedia) eingegangen.[8]
Literatur
Jakob Knab: Falsche Glorie: Das Traditionsverständnis der Bundeswehr. Ch. Links Verlag, Berlin 1995, ISBN 3-86153-089-9, S. 97.a
Andrew Rawson: The Cambrai Campaign, 1917 (British Expeditionary Force). Pen and Sword, England 2017, ISBN 978-1-5267-1439-8.
Volker Janke: Ein Garwitzer wird zum Denkmal. Theodor Krüger. In: Gesine Kröhnert, Wolf Karge (Hrsg.): Mecklenburg und der Erste Weltkrieg. Beiträge zur Geschichte in Mecklenburg. Thomas Helms Verlag, Schwerin 2010, ISBN 978-3-940207-19-7, S. 179–192.
Einzelnachweise
↑Franz Kosar: Panzerabwehrkanonen 1916–1977. Motorbuch-Verlag, Stuttgart 1978, ISBN 3-87943-562-6, S. 22.
↑Bericht von Captain Geoffrey Dugdale vom 20. November, der an Field Marshal Douglas Haig weitergeleitet wurde. vergl. Andrew Rawson: The Cambrai Campaign, 1917 (British Expeditionary Force). Pen and Sword, England 2017, ISBN 978-1-5267-1439-8.