Juri Petrowitsch Ljubimow wurde in Jaroslawl, einer Provinzstadt nordöstlich von Moskau, als Sohn eines Händlers und einer Lehrerin geboren. Ljubimow studierte bis 1940 im Studio des Wachtangow-Theaters, wo er bereits als Student in verschiedenen Rollen auftrat. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs arbeitete er wiederum am Wachtangow-Theater. 1946 verkörperte er in der russischen Verfilmung von Robinson Crusoe den Freitag. In den fünfziger Jahren begann er, auch als Regisseur zu arbeiten. In den frühen 1960er Jahren wirkte er am Puschkin-Theater (heute Alexandrinski-Theater). 1964 wurde er Chefregisseur am Moskauer Dramen- und Komödientheater.[1] 1965 gründete Ljubimow das Theater an der Taganka, das unter seiner Leitung Weltruhm erlangte. Ljubimow orientierte sich an der Ästhetik Bertolt Brechts[2] und stand in der Tradition des Theaters von Wsewolod Emiljewitsch Meyerhold. Seine Theaterarbeiten zeichneten sich durch Poesie, Bildkraft, Spielfreude und Phantasie aus. Insbesondere in der Zusammenarbeit mit dem Schauspieler und Liedermacher Wladimir Semjonowitsch Wyssozki entstanden Inszenierungen, die weit über die Sowjetunion hinaus bekannt wurden. Ljubimow entdeckte Wyssozkis schauspielerisches Talent und förderte ihn, den amerikanische Journalisten den „Bob Dylan der Sowjetunion“ nannten.[2] Wyssozki spielte unter anderem in Ljubimows legendär gewordener Hamlet-Inszenierung von 1971 die Titelrolle.
Nach dem Tod Wyssozkis 1980 legte sich Ljubimow mit den sowjetischen Behörden an und sorgte für eine angemessene Trauerfeier für seinen Protagonisten.[3] 1982 wurde seine Inszenierung Boris Godunow (Mussorgski) wegen ihrer aktuellen konzeptionellen Anspielungen verboten.[4] Im März 1984 wurde er als Chef des Theaters an der Taganka entlassen; im Juli erfolgte die Ausbürgerung. Ljubimow ging ins Ausland und inszenierte u. a. am Teatro alla Scala in Mailand, am Royal Opera House Covent Garden und an der Opéra Garnier in Paris. Ingmar Bergman holte ihn an das Königliche Dramatische Theater Stockholm. Im Jahr 1988 nahm Ljubimow die israelische Staatsbürgerschaft an.[5] 1989, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, kehrte Ljubimow ans Taganka-Theater zurück. Die Strahlkraft, die sein Theater zu Zeiten der Sowjetunion hatte, konnte es allerdings nicht wieder erreichen.[2] Streitigkeiten zwischen Ljubimow und einem Teil des Ensembles stellten Anfang der neunziger Jahre sogar die Existenz des Theaters in Frage.[4] Ljubimow inszenierte zunehmend auch Opern, darunter Fürst Igor am Moskauer Bolschoi-Theater und Eugen Onegin am Opernhaus Zürich. Von 1994 bis 1998 war Ljubimow Chefregisseur der Oper Bonn. Am 5. Oktober 2014 verstarb der Regisseur in einem Moskauer Krankenhaus.
Theaterarbeiten
Brecht: Der gute Mensch von Sezuan (1964)
Reed/Ljubimow: Zehn Tage, die die Welt erschütterten
Gorki: Die Mutter
Molière: Tartüff
Wassiljew: Im Morgengrauen ist es noch still (1972)
Andreas Lorenz, Fritz Rumler: „Das Krokodil weint und frißt“. Der exilierte russische Regisseur und Theaterleiter Jurij Ljubimow über seine Arbeit. In: Der Spiegel. Nr.42, 1984, S.240–248 (online – 15. Oktober 1984).
Ein Theater darf man nicht mit Gewalt erobern. Der Regisseur Jurij Ljubimow im Gespräch mit Roman Dolschanskij. In: Theater der Zeit, Heft 5/1999, Insert S. 25–26. Berlin 1999
Dagmar Mammitzsch: Gespräche mit Juri Ljubimow. Theater der Zeit 4/1991 S. 4, Berlin 1991
Literatur
Juri Ljubimow: Algebra der Harmonie. In: Joachim Fiebach: Manifeste europäischen Theaters. Grotowski bis Schleef Verlag Theater der Zeit, Berlin 2003. ISBN 978-3-934344-17-4, S. 168–178
↑Christoph Trilse, Klaus Hammer, Rolf Kabel: Theater Lexikon. Henschelverlag Berlin 1977, S. 338
↑ abcTim Neshitow: Der Schöpfer. In: Süddeutsche Zeitung vom 7. Oktober 2014, S. 12
↑Andreas Lorenz, Fritz Rumler: „Das Krokodil weint und frißt“. Der exilierte russische Regisseur und Theaterleiter Jurij Ljubimow über seine Arbeit. In: Der Spiegel. Nr.42, 1984, S.240–248 (online – 15. Oktober 1984).
↑ abC. Bernd Sucher: Theaterlexikon. Deutscher Taschenbuchverlag München 1996. S. 289 ISBN 3-423-03323-1