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Kulturtheorie

Unter Kulturtheorie versteht man die Erarbeitung theoretischer Grundlagen kulturwissenschaftlicher Forschung. Analog zur sonstigen Verwendung des Begriffs Theorie (etwa in Literaturtheorie, Filmtheorie usw.) bezeichnet der Begriff sowohl die jeweiligen einzelnen Theorieentwürfe als auch die Gesamtheit dieser Theorien.

Jede einzelne Kulturtheorie ist ein theoretischer Entwurf zum Verständnis von „Kultur“ überhaupt (etwa im Gegensatz zu „Gesellschaft“) oder der Erscheinungen, Mechanismen und Grundstrukturen der Kultur einer bestimmten Gemeinschaft oder Ethnie. Oft handelt es sich aber auch um Gegenentwürfe zu Theorien der menschlichen Natur und zu Theorien der nicht von Menschen gemachten, „unkultivierten“ Natur.

Kulturtheorie steht damit im Schnittpunkt verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen wie Soziologie, Ethnologie, Anthropologie, aber auch Kunsttheorie, Politik- und Geschichtswissenschaft, sofern diese auf die grundlegenden Charakteristika von Kultur, bzw. Kulturen in ihrem umfassenden Sinne abzielen und damit ein grundlegendes Verständnis über die Gesamtheit menschlicher Lebensäußerungen im sozialen Zusammenspiel anstreben.

Einen Eindruck über die verschiedenen Facetten des Themas anhand eines Teils der einschlägigen Literatur gab beispielsweise Michael Buchholz im Jahr 2013 in seiner von der DGPT herausgegebenen Reihe Kleiner Literaturrundflug unter dem Titel Das Denken der Kultur.[1]

Theoretische Ansätze

Unterschieden werden z. B.

  • Holistische Kulturtheorie als Grundlage der Beschreibung der Lebensformen eines abgegrenzten Kollektivs, ein hermeneutischer Ansatz, der von Herder begründet wurde und sich bis zur modernen Sozialanthropologie fortsetzt
  • Semiotische Kulturtheorie (oder Kultursemiotik), die die Kultur als Zeichengewebe bzw. als Text interpretiert (Vertreter: Clifford Geertz, Jurij Lotman)
  • Behavioristische Kulturtheorie, die die Verhaltensweisen untersucht, welche eine Kultur konstituieren und sich in Auseinandersetzung mit externen Einflüssen herausgebildet und durch Selektionsprozesse durchgesetzt haben (Vertreter: B. F. Skinner)[2]
  • Kognitivistische Kulturtheorie, die sich u. a. mit mentalen Phänomenen, kulturellem Lernen und der intergenerationalen Weitergabe kulturellen Wissens auseinandersetzt (Vertreter: Stephen A. Tyler).[3]
  • Theorie der Kultur als von implizitem Wissen und impliziten Regeln geleiteter Praxis (Vertreter: Pierre Bourdieu)
  • Theorie der Kultur als ausdifferenziertes gesellschaftliches Teilsystem (Vertreter: Talcott Parsons)
  • Kulturalistische Weiterentwicklung der System- und Kommunikationstheorie (Vertreter z. B. Albrecht Koschorke)

In jüngerer Zeit gewinnen Ansätze an Bedeutung, die Fragen der Legitimation und des Geltungsradius von Kulturen diskutieren, auch im Zusammenhang mit Debatten um den Kolonialismus.

Bedeutende Kulturtheoretiker

Literatur

  • Arnold Groh: Theories of Culture. Routledge, London 2019, ISBN 978-1-138-66865-2
  • Christiane Ackermann u. Michael Egerding (Hrsg.): Literatur- und Kulturtheorien in der germanistischen Mediävistik. Ein Handbuch. De Gruyter, Berlin/Boston 2015.
  • Ansgar Nünning (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen –Grundbegriffe. 4. aktualisierte und erweiterte Auflage. Metzler, Stuttgart/Weimar 2008, ISBN 978-3-476-02241-7
  • Martin Ludwig Hofmann u. a. (Hrsg.): Culture Club. Klassiker der Kulturtheorie. Suhrkamp, Frankfurt
    • Band 1. 2004, ISBN 3-518-29268-4 (Freud, Simmel, Luhmann, Bourdieu, Butler, Latour)
    • Band 2. 2006, ISBN 3-518-29398-2 (Max Weber, Siegfried Kracauer, Martin Heidegger, Helmuth Plessner, Margaret Mead, Hannah Arendt, Marshall McLuhan, Richard Hoggart, Vilém Flusser, Raymond Williams, Paul Feyerabend, Jean-François Lyotard, Ivan Illich, Clifford Geertz, Jacques Derrida und Stuart Hall)
  • Doris Bachmann-Medick: Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. 5. neu bearb. Aufl. Rowohlt, Reinbek 2014. English translation and rev. ed.: Cultural Turns: New Orientations in the Study of Culture. Berlin/Boston, De Gruyter 2016.
  • Thomas Jung: Geschichte der modernen Kulturtheorie. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1999
  • Rolf Löther: Zur Einheit von Naturtheorie und Kulturtheorie. In: Zs. f. Wissenschaftsforschung 3(1986)3, S. 59–67.
  • Wolfgang Müller-Funk: Kulturtheorie. Einführung in Schlüsseltexte der Kulturwissenschaften. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. A. Francke Verlag (UTB für Wissenschaft), Tübingen 2010, ISBN 978-3-8252-2828-6
  • Stephan Moebius & Dirk Quadflieg (Hrsg.): Kultur. Theorien der Gegenwart. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, ISBN 3-531-14519-3
  • Johannes Heinrichs: Entwurf systemischer Kulturtheorie. Krems 1998
  • ders.: Kultur – in der Kunst der Begriffe. Steno, München 2007
  • Andreas Wimmer: Prozessuale Kulturtheorie. Zur Dynamik des Aushandelns von Bedeutungen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005
  • Alfons Schnase: Evolutionäre Erkenntnistheorie und biologische Kulturtheorie. Konrad Lorenz unter Ideologieverdacht. Königshausen & Neumann, Würzburg 2005
  • Peter Dreschel: Vorschläge zur Konstruktion einer «Kulturtheorie», und was man unter einer «Kulturinterpretation» verstehen könnte. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft 26. 1984, S. 44–84
  • W. K. Schulz: Wissenssoziologische Aspekte der Kulturtheorie Georg Simmels. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. 37, 1985, S. 277–287
  • Geert und Gert-Jan Hofstede: Cultures and Organizations: Software of the Mind. New York: McGraw-Hill U.S.A., 2004

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Michael B. Buchholz: Das Denken der Kultur. Kleiner Literaturrundflug. In: DGPT (Hrsg.): Psycho-News-Letter. Nr. 96, 2013 (dgpt.de [PDF; 995 kB; abgerufen am 25. Oktober 2018]).
  2. B. F. Skinner: Selection by consequences, in: Science, 213 (1981), S. 501–504.
  3. Stephen A. Tyler: Cognitive Anthropology. Holt: New York 1969.
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