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Musikphilologie

Die Musikphilologie ist „eine gelegentlich vorkommende“[1] Bezeichnung für eine Teildisziplin der Musikwissenschaft und bezeichnet die Lehre von der Musik als Sprache.

Allgemeine Bestimmung

Die Musikphilologie beschreibt analog zur klassischen Philologie (der Literatur) die Auseinandersetzung mit Musik im Sinne einer Sprache; denn die Musik ist gleichermaßen zeitlich messbar, besitzt Strukturen und verfügt über eine Schrift.[2] Die Musikphilologie hat es sich zum Ziel gesetzt, originale Notenschriften „zu verstehen, zu erklären und wiederherzustellen“. Sie bezieht sich deshalb auf Primärquellen, wie Manuskripte oder frühe Druckausgaben und „bemüht sich mit Akribie – pedantisch, wie ihre Verächter meinen“[3] – diese genau zu rekonstruieren:

„Während unsere exacten Musikphilologen den anderen Classikern fast schon unbequem werden und sich in ganzen Schwärmen auf Pünktchen und Strichlein werfen, ließ man lange genug köstliche Haydn-Schätze abseits liegen.“ (Herausgeber einer Haydn-Oper, 1895)[3]

Demnach ist das Hauptziel der Musikphilologie die Quellenforschung und Textkritik, das heißt das Aufzeigen und die Korrektur von Fehlern in überlieferten Notenschriften. Die meisten Musikwissenschaftler fassen den Begriff noch weiter, indem sie auch die Hermeneutik (= Auslegungskunst) miteinbeziehen.

Nach Georg Feder kann man es folgendermaßen zusammenfassen: „Bei der Musik haben wir [...] als Kern die primäre Quellen- und Notationskunde (musikalische Orthographie und Paläographie), um die herum sich die Textkritik aufbaut, der sich die theoretische Text- und Werkinterpretation (Hermeneutik) anschließt. Einen weiteren Kreis bildet die Musiktheorie als historische musikalische Grammatik und als musikalisches ‚Lexikon‘ der Tonsprache, sowohl im stilistischen [...] Sinn einer systematischen Zusammenstellung musikalischer Paradigmata wie im musiktheoretischen als Wörterbuch der musikalischen Termini [...].“[4]

Quellenforschung

Nach Feder unterscheidet man in den Geisteswissenschaften drei Arten von Quellen[5]:

  1. die Quelle, aus der der Autor schöpfte, als er sein Werk schuf,
  2. die Quelle, aus der der Historiker schöpft, um zur Erkenntnis der Vergangenheit zu gelangen,
  3. die Quelle, aus der der Philologe schöpft, wenn er den richtigen Text eines schriftlich niedergelegten Werkes ermitteln will.

Während die erstgenannte Quellenart keine Anwendung in der Musikwissenschaft findet, werden Quellen der zweiten Art vor allem für die Abfassung von Komponistenbiografien oder Darstellungen des Musiklebens einer Zeit herangezogen. Auch für den Musikphilologen können solche Quellen, wie Verlagsanzeigen, Theaterzettel oder Augenberichten, hilfreich sein. Andere Beispiele für diese Quellenart sind Komponistenäußerungen und Dokumente der Werkrezeption, die vorrangig der Hermeneutik dienen, oder indirekte Quellen, wie die Akten eines Musikensembles oder Kirchendokumente.

Die dritte Quellenart findet ihre Anwendung hauptsächlich in der Musikwissenschaft. Hierzu zählen die bereits genannten historischen Manuskripte und Notendrucke sowie neuerdings Tonaufnahmen (zum Beispiel Einspielungen der Werke vom Komponisten selbst). Mit eingeschlossen sind Skizzen, Korrekturen und ältere Fassungen. Zudem können Musikinstrumente aus jener Zeit einen Quellenwert haben.

Quellenforschung schließt aber immer auch eine Quellenkritik mit ein. Es ist die Frage nach der Beziehung des Überlieferers zum Komponisten – sofern ein Notentext nicht in der Handschrift des Komponisten vorliegt – und der Glaubwürdigkeit der Zeugen beziehungsweise Überlieferer. Je nach Quellenart bedeutet es auch eine Überprüfung der Herkunft und des Alters der Quelle.

Eine fundierte Quellenkritik setzt zunächst voraus, dass die Konkordanzen der, den Notentext bezeugenden Quellen, wie Textzeugen oder Vorlagen, bekannt sind (Heuristik: Die Kunst, Quellen aufzuspüren).[6] Zu ihnen gehören Werkverzeichnisse, Briefeditionen, dokumentarische Biografien und Spezialabhandlungen sowie allgemein quellenkundliche Schriften (Répertoire International des Sources Musicales, Eitners 'Biographisch-bibliographisches Quellenlexikon der Musik').

Textkritik

Nach Friedrich Schleiermacher Definition ist Textkritik die „Forschung [...] über Alter, Echtheit und Richtigkeit der Schriften“[7] oder letztlich die einzige Frage nach der Echtheit, nämlich der des Autors, des Datums und des (Noten)textes.

Notentextkritik bedeutet im Einzelnen die Untersuchung des Autornamens, von Datierung, Gattungsbezeichnung, Notenschrift, Form und Besetzung, Satztechnik, der Vortragsanweisungen und sonstigen Beischriften, wie Widmung und Schlussvermerke, sowie des Gesangstexts. In einem zweiten Schritt ist gegebenenfalls Entsprechendes zu bestimmen, wenn es nicht direkt der Quelle zu entnehmen ist (Gattungsbestimmung, Ermittlung des fehlenden Datums, chronologische Folge undatierter Satz- und Werkfassungen).[8]

Da nicht alle Exemplare eines Notendruckes identisch sind, ist das Heranziehen mehrerer Exemplare ein notwendiges Vorgehen jedes Textkritikers.

Hermeneutik

Mit der Hermeneutik wird die Musik ausgelegt, erklärt und theoretisch interpretiert; oder mit den Worten des Begründers der musiktheoretischen Hermeneutik, Hermann Kretzschmar, aus dem Jahre 1902: Hermeneutik ist die „Bloßlegung des Gedankengangs der Komposition“.[9] Sie ist ausschlaggebend für eine mögliche spätere Transkription als auch für die aufführungspraktische Interpretation:

„Musikwissenschaftliche Methoden und Forschungsergebnisse sind die Basis [...] von der philologischen Grundlagenarbeit (Studium und Auswertung der Quellen) bis hin zu aufführungspraktischen Konsequenzen.“ (Ein Musikverleger über seine Bach-Ausgaben)[10]

Einzelnachweise

  1. Feder: Musikphilologie, Vorwort
  2. Feder: Musikphilologie, S. 1
  3. a b Feder: Musikphilologie, S. 22
  4. Feder: Musikphilologie, S. 26
  5. Feder: Musikphilologie, S. 30
  6. Feder: Musikphilologie, S. 43
  7. Feder: Musikphilologie, S. 38
  8. vgl. Feder: Musikphilologie, S. 39
  9. vgl. Feder: Musikphilologie, S. 83
  10. vgl. Feder: Musikphilologie, S. 25

Literatur

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