In der Differentialrechnung ist eine partielle Ableitung die Ableitung einer Funktion mit mehreren Argumenten nach einem dieser Argumente (in Richtung dieser Koordinatenachse). Die Werte der übrigen Argumente werden also konstant gehalten.
Sei eine offene Teilmenge des euklidischen Raums und eine Funktion. Sei weiterhin ein Element in gegeben. Falls für die natürliche Zahl mit der Grenzwert
existiert, dann nennt man ihn die partielle Ableitung von nach der -ten Variablen im Punkt . Die Funktion heißt dann im Punkt partiell differenzierbar. Hierbei wurde als Standardbasis des verwendet.
Oft wird auch die Notation verwendet, um den Auswertungspunkt zu kennzeichnen.
Dem gegenüber existiert in der Technischen Mechanik eine andere Schreibweise, bei der die Richtung der Funktion mit einem Komma im Index angezeigt wird, um von der Richtung des Arguments der Funktion zu unterscheiden: So ist die Ableitung der Verschiebung (also die Verschiebung in -Richtung) folgendermaßen gleich . Analog dazu wäre die Ableitung in -Richtung einer Verschiebung in -Richtung.[2]
Höhere Ordnung
Die partielle Ableitung nach ist selbst wieder eine Funktion von nach , falls in ganz nach partiell differenzierbar ist. Als abkürzende Schreibweise für die partiellen Ableitungen ist auch oft , , oder zu finden.
Ist die Funktion in jedem Punkt ihres Definitionsbereichs partiell differenzierbar, so sind die partiellen Ableitungen
wieder Funktionen von nach , die ihrerseits auf Differenzierbarkeit untersucht werden können. Man erhält so höhere partielle Ableitungen
und .
Verallgemeinerung auf vektorwertige Funktionen
Sei offen und ein normierter Raum und eine Funktion. Die partielle Ableitung von nach der -ten Variable in ist dann (wie für ) definiert als
falls dieser Grenzwert, der bzgl. der Norm auf aufgefasst werden muss, existiert.
Ist so ist die Wahl der Norm beliebig, da in endlich-dimensionalen Vektorräumen alle Normen äquivalent sind. Vor allem die Fälle und (versehen mit einer beliebigen Norm) sind von besonderem Interesse. Hierbei wurde die übliche Notation oder verwendet.
Auch höhere Ableitungen lassen sich komplett analog auf verallgemeinern.
Verallgemeinerung auf Matrixfunktion
Sei offen und ein normierter Raum und eine Funktion. Sei weiterhin ein Element gegeben. Seien mit und dann nennt man den Grenzwert
die partielle Ableitung von nach im Punkt , falls dieser in existiert. heißt in diesem Fall partiell differenzierbar an der Stelle . Hierbei werden die Basisvektoren als Spaltenvektoren aufgefasst und entsprechend sind alle Koeffizienten der Matrix gleich außer dem Koeffizient .
Identifiziert man die offenen Menge mit einer offenen Menge und durch eine Funktion , so lassen sich alle Regeln für partielle Ableitungen von auf übertragen. So lassen sich auch hier beispielsweise höhere partielle Ableitungen bilden und es gelten die unten stehenden Sätze und Eigenschaften.
Für einen festen Wert von ist dann eine Funktion in . Bei festem ergeben die Punkte eine Strecke parallel zur -Achse. Diese Strecke wird von auf eine gekrümmte Linie auf dem Graphen von projiziert. Die partielle Ableitung von nach entspricht unter diesen Voraussetzungen der Steigung der Tangente an diese Kurve im Punkt .
Die zweiten partiellen Ableitungen lassen sich in einer Matrix anordnen, der Hesse-Matrix
Es gilt die Taylorformel: Wenn die Funktion -mal stetig partiell differenzierbar ist, so lässt sie sich in der Nähe jedes Punktes durch ihre Taylor-Polynome approximieren:
mit , wobei das Restglied für von höherer als -ter Ordnung verschwindet, das heißt:
Die Terme zu gegebenem ergeben die „Taylorapproximation -ter Ordnung“.
Einfache Extremwertprobleme findet man in der Analysis bei der Berechnung von Maxima und Minima einer Funktion einer reellenVariablen (vgl. hierzu den Artikel über Differentialrechnung). Die Verallgemeinerung des Differentialquotienten auf Funktionen mehrerer Variablen (Veränderlichen, Parameter) ermöglicht die Bestimmung ihrer Extremwerte, und für die Berechnung werden partielle Ableitungen benötigt.
Als Beispiel wird die Funktion mit betrachtet, die von den beiden Variablen und abhängt.
Betrachtet man als eine Konstante, z. B. , so hängt die Funktion mit nur noch von der Variablen ab:
Für die neue Funktion gilt folglich und man kann den Differenzialquotienten bilden
Das gleiche Ergebnis erhält man, wenn man die partielle Ableitung der Funktion nach bildet:
Die partielle Ableitung von nach lautet entsprechend:
Dieses Beispiel demonstriert, wie die partielle Ableitung einer Funktion bestimmt wird, die von mehreren Variablen abhängt:
Bis auf eine Variable werden alle anderen Variablen als konstant angenommen, bezüglich dieser einen Variablen wird der Differenzialquotient bestimmt. Als Ergebnis erhält man die partielle Ableitung der Funktion nach dieser einen Variablen.
Beispiel 2
Da die partielle Ableitung nach einer Variablen der gewöhnlichen Ableitung bei festgehaltenen Werten aller anderen Variablen entspricht, können für die Berechnung alle Ableitungsregeln wie bei Funktionen einer Variablen verwendet werden. Ist beispielsweise
In der obigen Animation sieht man den Graphen der Funktion . Legt man einen Punkt aus dem Definitionsbereich fest, so kann man den Graphen der Funktion mit einer senkrechten Ebene in x-Richtung schneiden. Der Schnitt des Graphen mit der Ebene erzeugt einen klassischen Graphen aus der eindimensionalen Analysis. Partielle Ableitungen können so auch anschaulich auf die klassische eindimensionale Analysis zurückgeführt werden.
,
und
.
Partielle und totale Ableitung nach der Zeit
In der Physik (vor allem in der theoretischen Mechanik) tritt häufig die folgende Situation auf: Eine Größe hängt durch eine total differenzierbare Funktion von den Ortskoordinaten , , und von der Zeit ab. Man kann also die partiellen Ableitungen , , und bilden. Die Koordinaten eines sich bewegenden Punktes sind durch die Funktionen , und gegeben.
Die zeitliche Entwicklung des Werts der Größe am jeweiligen Bahnpunkt wird dann durch die verkettete Funktion
beschrieben.
Diese Funktion hängt nur von einer Variablen, der Zeit , ab. Man kann also die gewöhnliche Ableitung bilden.
Diese nennt man die totale oder vollständige Ableitung von nach der Zeit und schreibt dafür auch kurz . Sie berechnet sich nach der mehrdimensionalen Kettenregel wie folgt:
Während bei der partiellen Ableitung nach der Zeit nur die explizite Abhängigkeit der Funktion von berücksichtigt wird und alle anderen Variablen konstant gehalten werden, berücksichtigt die totale Ableitung auch die indirekte (oder implizite) Abhängigkeit von , die dadurch zustande kommt, dass längs der Bahnbewegung die Ortskoordinaten von der Zeit abhängen.
(Indem man also die implizite Zeitabhängigkeit mitberücksichtigt, redet man im Jargon der Physik auch von „substantieller“Zeitableitung, bzw. im Jargon der Strömungsmechanik von der Euler-Ableitung im Gegensatz zur Lagrange-Ableitung.)
Eine Verallgemeinerung der partiellen Ableitung stellt die Richtungsableitung dar. Dabei wird die Ableitung in Richtung eines beliebigen Vektors betrachtet und nicht nur in Richtung der Koordinatenachsen.
Literatur
Kurt Endl; Wolfgang Luh: Analysis II, Akademische Verlagsgesellschaft Frankfurt am Main, 1974
Hans Grauert; Wolfgang Fischer: Differential- und Integralrechnung II, 2., verbesserte Auflage, Springer Verlag Berlin, 1978
Einzelnachweise
↑Heuser verweist auf J. f. reine u. angew. Math., Nr. 17 (1837) (Harro Heuser: Lehrbuch der Analysis. Teil 2. Teubner Verlag, 2002, S. 247). Eine detaillierte Herkunft gibt Jeff Miller: [1].
↑Holm Altenbach, Johannes Altenbach, Konstantin Naumenko: Ebene Flächentragwerke. Grundlagen der Modellierung und Berechnung von Scheiben und Platten. Springer, Berlin Heidelberg 2016, ISBN 978-3-662-47230-9, S.25ff., doi:10.1007/978-3-662-47230-9.