Dieser Artikel behandelt die mythologische Figur, zum Drama von Sophokles siehe Philoktetes (Sophokles), zum nach ihm benannten Asteroiden siehe (1869) Philoctetes.
Der Sage nach fiel Philoktet und seinen Waffen eine entscheidende Rolle bei der Eroberung Trojas zu. Bei Homer nur mehrfach kurz erwähnt, wurde die Sage in späteren Dichtungen (Kykliker, Tragiker) weiterentwickelt.[1]
In seiner Jugend war er mit dem griechischen Helden Herakles befreundet und dessen Waffenträger. Als sich für die Selbstverbrennung des Herakles niemand fand, der den von ihm zu diesem Zweck aufgeschichteten Scheiterhaufen auf dem Berg Oita entzünden wollte, übernahm Philoktetes die Aufgabe. Dafür hinterließ ihm Herakles seinen Bogen und die Giftpfeile, die in das giftige Blut oder die Galle der Hydra getaucht worden waren.
Als der trojanische Prinz ParisHelena von Sparta geraubt hatte, fuhr Philoktetes als einer der Anführer der griechischen Streitkräfte mit sieben Schiffen gegen Troja. Auf dem Weg wurde er jedoch auf der Insel Chryse bei einer Rast von einer Schlange, wahrscheinlich einer Natter, gebissen.[2] Da die Griechen seine Schmerzensschreie und den Gestank seiner Wunde nicht ertragen konnten, übernahm es Odysseus, ihn mit einer List auf der Insel Lemnos auszusetzen, was ihm den langanhaltenden Groll des Philoktetes zuzog.
Im zehnten Kriegsjahr beschlossen die Griechen, ihn zurückzuholen, da der troische Seher und Sohn des PriamosHelenos prophezeit hatte, dass der Krieg nur mit Hilfe der Pfeile des Herakles zu gewinnen sei. Gleichzeitig erschien dem siechen Philoktetes der tote Herakles und stellte ihm Heilung vor Troja in Aussicht. Odysseus und Achilleus’ Sohn Neoptolemos (nach anderer Version Odysseus und Diomedes), von den Griechen nach Lemnos entsandt, trafen den schwer kranken Philoktetes auf der Insel an. Dieser hatte sich geschworen, nachdem er ausgesetzt worden war, nie wieder für die Griechen zu kämpfen. Odysseus schickte daher Neoptolemos auf die Insel vor, um Philoktetes zu überreden, ihm den Bogen zu geben. Einer Version zufolge stürzte dieser am Strand, und der Bogen fiel ihm aus den Händen. Neoptolemos hätte Bogen und Pfeile leicht an sich bringen können, half dem Gestürzten aber stattdessen auf und bewog ihn dann doch mit Odysseus’ Hilfe, mit nach Troja zu kommen. Als er dort eintraf, wurde er von Machaon (oder Podaleirios oder Asklepios) geheilt. Zur Versöhnung beschenkten die Griechen Philoktetes reich: mit sieben trojanischen Jungfrauen, zwölf Dreifüßen und zwanzig Rossen. Philoktetes erschoss alsbald Paris mit einem der Pfeile des Herakles.
Er galt als der beste Bogenschütze der Griechen; Homer lässt in der Odyssee den Odysseus von sich selbst sagen, dass er nach Philoktetes wohl der beste Bogenschütze seiner Zeit sei.[3]
Philoktet soll nach dem Fall Trojas in seine Heimat zurückgekehrt[4] und nach einem Aufstand gegen ihn nach Italien verschlagen worden sein, wo er mehrere Städte (darunter Petilia in Kalabrien) gegründet und die Pfeile des Herakles dem Apoll geweiht haben soll. Dann sei er im Krieg gefallen.[5]
K. Schubert: Philoktet. In: Carl Andresen (Hrsg.): Lexikon der Alten Welt (LdAW). Artemis & Winkler, Düsseldorf/Zürich 1990, ISBN 3-7608-1034-9, Sp. 2300–2301.
Wilhelm Vollmer: Wörterbuch der Mythologie aller Völker. Neu bearbeitet von Wolfgang Binder. Mit einer Einleitung in die mythologische Wissenschaft von Johannes Minckwitz. 3. Auflage. Hoffmann, Stuttgart 1874. Nachdruck Reprint-Verlag Leipzig, Holzminden 1994, S. 378 (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
↑Die Überlieferung ist – wie bei den meisten antiken Sagen – uneinheitlich und in zahlreichen, teilweise einander widersprechenden Versionen überliefert; am ausführlichsten informiert immer noch Karl Fiehn: Philoktetes. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band XIX,2, Stuttgart 1938, Sp. 2500–2509.
↑Nach einer anderen Version war es der Verrat von Herakles’ Grab, das der Halbgott durch eine Fußvergiftung rächte; vgl. Wilhelm Vollmer: Wörterbuch der Mythologie aller Völker. Neu bearbeitet von Wolfgang Binder. Mit einer Einleitung in die mythologische Wissenschaft von Johannes Minckwitz. 3. Auflage, Hoffmann, Stuttgart 1874. Nachdruck Reprint-Verlag Leipzig, Holzminden 1994, S. 378 (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
↑Homer, Odyssee 3,188–190; Jan Stenger: Philoktetes. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 9, Metzler, Stuttgart 2000, ISBN 3-476-01479-7, Sp. 833.
↑Wilhelm Vollmer: Wörterbuch der Mythologie aller Völker. Holzminden 1994, S. 379; Jan Stenger: Philoktetes. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 9, Metzler, Stuttgart 2000, ISBN 3-476-01479-7, Sp. 833.
↑Alex Wegmaier: Hamartia im Philoktet? Über den Fehler des tragischen Helden in Aristoteles’ Tragödientheorie. Institut für deutsche Philologie an der Ludwig-Maximilians-Universität, 2007 (mit Bibliographie; online als PDF (Memento vom 4. Februar 2015 im Internet Archive); 0,4 MB).
↑Zum sophokleischen Philoktetes Andreas Schnebele: Die epischen Quellen des sophokleischen Philoktet. Die Postiliaca im frühgriechischen Epos. Dissertation, Universität Tübingen 1988; Tamara Visser: Untersuchungen zum sophokleischen Philoktet. Das auslösende Ereignis in der Stückgestaltung (= Beiträge zur Altertumskunde. Band 110). Teubner, Stuttgart/Leipzig 1998, ISBN 3-519-07659-4; Manfred Landfester: Sophokles. In: Manfred Landfester (Hrsg.): Geschichte der antiken Texte. Autoren- und Werklexikon (= Der Neue Pauly. Supplemente. Band 2). Metzler, Stuttgart/Weimar 2007, ISBN 978-3-476-02030-7, S. 552–556 (enthält eine Liste sämtlicher Handschriften, Werkausgaben und Übersetzungen).