Die früheste handschriftliche Textüberlieferung findet sich im Pontifikale von Aurillac (Paris, Nachtrag um 1100).[3] Die letzten Anrufungen des Gebets („O clemens, o pia, o dulcis Virgo Maria“) sind ein späterer Zusatz, den der heilige Bernhard von Clairvaux angefügt haben soll. In der ersten Zeile ist das Wort mater ‚Mutter‘ ein Einschub, der sich erst im 16. Jahrhundert durchsetzte; bis dahin wandte sich das Lied an Regina misercordiae, die „Königin der Barmherzigkeit“.[4]
Salve, Regina, mater misericordiae; Vita, dulcedo et spes nostra, salve.
Ad te clamamus, exsules filii Hevae. Ad te suspiramus, gementes et flentes in hac lacrimarum valle. Eia ergo, Advocata nostra, illos tuos misericordes oculos ad nos converte. Et Jesum, benedictum fructum ventris tui, nobis post hoc exsilium ostende. O clemens, o pia, o dulcis virgo Maria.
Sei gegrüßt, o Königin,
Mutter der Barmherzigkeit,
unser Leben, unsre Wonne
und unsere Hoffnung, sei gegrüßt!
Zu dir rufen wir verbannte Kinder Evas;
zu dir seufzen wir
trauernd und weinend in diesem Tal der Tränen.
Wohlan denn, unsre Fürsprecherin,
deine barmherzigen Augen
wende uns zu
und nach diesem Elend ** zeige uns Jesus,
die gebenedeite Frucht deines Leibes.
O gütige, o milde, o süße Jungfrau Maria.
Die gregorianische Singweise des Salve Regina steht im Liber Usualis in einer festlichen Version (in tono solemni).[6] Die in Klöstern und Gemeinden meistgesungene Melodie in einem „einfachen Ton“ (in cantu simplici) geht auf den belgischen Barockkomponisten Henri Du Mont (1610–1684) zurück und ist die im Gotteslob Nr. 666, 4 abgedruckte Version.[7]
Das Anfangsmotiv der einfachen Fassung – der Dur-Dreiklang mit der Sexte – ist auch eine häufige Geläutedisposition, oft Salve-Regina-Geläut genannt.[8]
Anfang der Melodie nach Henri Du Mont:
Eine deutsche Übertragung mit einer Melodie von Heinrich Rohr war im Gotteslob von 1975 unter Nummer 571 abgedruckt, ebenso die Liedparaphrase „Salve! Maria Königin“ nach einer Melodie aus dem Rheinfelsischen Gesangbuch von 1666 unter der Nummer 572.
Auf Johann Georg Seidenbusch (1641–1729) geht ein Marienlied zurück, das in den einzelnen Strophen die Marientitel des Salve Regina paraphrasiert. Im Gotteslob ist es unter Nummer 536 (GLalt 573) enthalten.
1 Gegrüßet seist du, Königin, (o Maria) – erhabne Frau und Herrscherin, (o Maria).
2 O Mutter der Barmherzigkeit, – du unsres Lebens Süßigkeit.
3 Du unsre Hoffnung, sei gegrüßt, – die du der Sünder Zuflucht bist.
4 Wir Kinder Evas schrein zu dir, – aus Tod und Elend rufen wir.
5 O mächtige Fürsprecherin, – bei Gott sei unsre Helferin.
6 Dein mildes Auge zu uns wend – und zeig uns Jesus nach dem End.
Der Refrain lautet: „Freut euch, ihr Kerubim, lobsingt, ihr Seraphim, grüßet eure Königin: Salve, salve, salve Regina!“
Neufassungen nach der Reformation
Die Reformatoren lehnten die Marienverehrung ab, das lateinische Stundengebet wurde jedoch zunächst weiter verrichtet, und es gab lateinische Gesänge im Gottesdienst. So kam es zu auf Gott Vater und Jesus Christus bezogenen Umdichtungen der Passagen im Salve Regina, in denen Maria genannt wurde. Statt Salve Regina, mater misericordiae hieß es nun „christlich gebessert“ Salve o Christe, salve, fons misericordiae („Sei gegrüßt, Christus, du Quelle der Barmherzigkeit“), Laetemur in Christo („Wir wollen uns freuen in Christus“), Salve Rex aeternae misericordiae („Sei gegrüßt, König der ewigen Barmherzigekeit“, Erfurt 1525[9]) oder ähnlich. Michael Praetorius vertonte 1611 Salve Rex noster [Salve Regina, christlich gebessert] mit folgenden, an Gott Vater gerichteten Neufassungen:
Salve Rex noster, salve, pater misericordiae (statt: Salve, Regina, mater misericordiae)
Eia, ergo advocate noster (statt: advocata)
Et Jesum, unigenitum filium tuum nobis […] ostende (statt: Et Jesum, benedictum fructum ventris tui nobis […] ostende).
o dulcis Rex noster, salve (statt: o dulcis virgo Maria).[10]
Pierre de la Rue (* um 1460–1518): Salve Regina I – VI (Motetten)
Claudio Monteverdi (1567–1643): Psalmi e Framenti: Salve o Regina a voce solo e B.c. und Salve Regina a voce sola, Selva morale e spirituale: Salve Regina con dentro un Ecco voce sola risposta d'ecco et due Violini, Salve Regina a 2 voci, due Tenori o due Soprani, Salve Regina a 3 voci, Alto, Basso, et Tenore o Soprani
Joan Rossell (1724–1780): „Salve a duo“, Salve Regina für Sopran und Mezzo-Sopran. Bis ins späte 20. Jahrhundert wurde dieses Werk Giovanni Battista Pergolesi (1710–1736) zugeschrieben. Der englische Musikverleger Robert Bremner verkaufte es (nachdem er es selbst leicht bearbeitet hatte) als angebliche Komposition von Pergolesi.[12]
Joseph Haydn (1732–1809): Salve Regina g-moll für vierstimmigen Chor, Streicher und konzertierende Orgel, Hob.XXIII/b:2 (1771)
Antonio Salieri (1750–1825): Salve Regina D-Dur (1815), mit deutschem Text in G-Dur und zuletzt in B-Dur für vierstimmigen Chor und Orchester
Franz Schubert (1797–1828): Salve Regina op. 140 in C-Dur für gemischtes Quartett (April 1824) und Salve Regina op. 153 in A-Dur für Sopran und Orchester (November 1817)
Hermann Schroeder (1904–1984): Salve Regina, in Die Marianischen Antiphonen für Orgel (1953), und „Salve Regina“, Cantilena choralis für Violoncello und Orgel (1981)
Analecta Hymnica Medii Aevi, ed. Guido M. Dreves et al., Bd. 50, S. 318 f.
Literatur
Johannes Maier: Studien zur Geschichte der Marienantiphon „Salve regina“. Pustet, Regensburg 1939 (Philosophische Dissertation vom 25. März 1939, Freiburg i. B.)
Walter Berschin: Eremus und Insula. St. Gallen und die Reichenau im Mittelalter – Modell einer lateinischen Literaturlandschaft. Ludwig Reichert Verlag, Wiesbaden 1987, ISBN 3-88226-383-8, S. 16 f.; anders in der 2., erweiterten Aufl. 2005, ISBN 3-89500-433-2.
Walter Berschin, Martin Hellmann: Hermann der Lahme – Gelehrter und Dichter (1013–1054) (= Reichenauer Texte und Bilder 11). Mattes, Heidelberg 2004, ISBN 3-930978-67-9, S. 96–103.
↑Zur Verfasserfrage vgl. Walter Berschin, Martin Hellmann: Hermann der Lahme – Gelehrter und Dichter (1013–1054). Heidelberg 2004, S. 96–103 mit Hinweis (ebd. S. 101) auf Anspielungen auf den Text von Salve Regina aus dem zeitlichen und räumlichen Nahbereich Hermanns des Lahmen, der ehemals Reichenauer Handschrift aus der zweiten Hälfte des 11. Jh. Karlsruhe, Badische Landesbibl. Aug. LV, fol. 42v.
↑Vgl. Walter Berschin, Martin Hellmann: Hermann der Lahme – Gelehrter und Dichter (1013–1054). Heidelberg 2004, S. 97.
↑Paris, BnF lat. 944, fol. 145r, Nachtrag um 1100; vgl. Seite Latin 944 der BnF; Walter Berschin, Martin Hellmann: Hermann der Lahme − Gelehrter und Dichter (1013–1054). Heidelberg 2004, Anm. 43, S. 105.
↑Hermann Kurzke, Christiane Schäfer: Mythos Maria. Berühmte Marienlieder und ihre Geschichte. München 2014, S. 93.
↑Mit „Elend“ ist hier nicht Miseria (im Sinne von Unglück) gemeint, sondern es kommt vom Althochdeutschen elilente („Ausland“, „Fremde“). So bezieht sich exsules filii Evae auf die Vertreibung aus dem Paradies und die Verbannung in die Fremde (die so freilich auch zum Elend im landläufigen Sinn geworden ist). Das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm erläutert zu „Elend“ (Bd. 3, Sp. 406): „1) urbedeutung dieses schönen, von heimweh eingegebnen wortes ist das wohnen im ausland, in der fremde, und das lat. exsul, exsilium, gleichsam extra solum stehen ihm nahe.“ ELEND, n.. In: Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Hrsg.): Deutsches Wörterbuch. 16 Bände in 32 Teilbänden, 1854–1960. S. Hirzel, Leipzig (woerterbuchnetz.de).
↑Liber usualis missae et officii pro dominicis et festis cum cantu Gregoriano ex editione Vaticana adamussim excerpto a Solesmensibus Monachis. Desclée, Paris/Tournai 1954, S. 276.
↑Antiphonale Romano-Seraphicum pro horis diurnis. Desclée, Paris/Tournai 1928, S. 102f. (In tono solemni), S. 103f. (In tono simplici).
↑Johann Baptist Pergolesi's Salve Regina im Klavierauszuge mit deutscher Parodie. Zum Besten des Armeninstituts der Stadt Lübeck, Lübeck: In Commission by Christian Gottfried Donatius 1785 (Digitalisat, British Library)
↑Quelle: harmonia mundi CD Pergolesi – Stabat Mater | Rossell – Salve a duo (DigitalBooklet.pdf S. 8)