Dieser Artikel beschreibt die Pflanzenart aus der Familie der Hahnenfußgewächse. Für die gleichnamige Art aus der Familie der Kreuzblütengewächse siehe Echtes Löffelkraut.
Das Scharbockskraut (Ficaria verna, Syn.: Ranunculus ficaria L.), auch Feigwurz oder Frühlings-Scharbockskraut genannt, ist eine Pflanzenart in der Familie der Hahnenfußgewächse (Ranunculaceae). Es ist ein Frühjahrsblüher. Sein deutscher Trivialname leitet sich von Scharbock (Skorbut) ab, da seine Vitamin-C-haltigen Blätter gegen diese Mangelerscheinung eingenommen wurden. In der deutschsprachigen Schweiz nennt man die Pflanzen auch Glitzerli, weil die Blüte, im Gegensatz zum normalenScharfen Hahnenfuß, glitzert, wie lackiert.
Das Scharbockskraut ist eine frühjahrsgrüne, ausdauernde, krautige Pflanze, die Wuchshöhen von 10 bis 20 cm erreicht. Es werden jährlich neu etwa 1 bis 2 cm lange, feigwarzen-ähnliche Wurzelknollen als Stärkespeicher gebildet. Die Erneuerungsknospen bilden sich an dem dicht unter der Oberfläche liegenden Rhizom. Der niederliegende bis aufsteigende, hohle Stängel ist kahl.
Die ungeteilten Laubblätter besitzen lange Blattstiele. Die einfache Blattspreite ist herz- bis nierenförmig und oft fettig-glänzend mit gekerbtem Blattrand.
Auffallend sind ihre einzeln stehenden und lang gestielten, goldgelben und sternförmigen Blüten, die einen Durchmesser von 1,5 bis 6 cm[1] besitzen. Es sind drei, selten fünf kelchblattartige Hüllblätter vorhanden. Es sind acht bis elf (im Unterschied zu den Hahnenfuß-Arten) Kronblätter vorhanden, die im botanischen Sinne blumenblattartige Nektarblätter sind. Ihre auffällige Färbung lockt zur Blütezeit (März bis Mai) zahlreiche Insekten an, die am BlütenbodenNektar finden. Bei Berührung der zahlreichen Staubblätter erfolgt die Bestäubung.
Im Unterschied zu den „echten“ HahnenfüßenRanunculus s. str. haben die Nüsschen eine verlängerte Basis, der Griffel (Schnabel) ist reduziert.
Ökologie
Das Scharbockskraut ist ein Hemikryptophyt und eine Halbrosettenpflanze. Die Frühjahrspflanze zieht bereits im Mai/Juni wieder ein, zu diesem Zeitpunkt sind die neuen Wurzelknollen fertig ausgebildet und die oberirdischen Pflanzenteile beginnen sich gelb zu verfärben und welken dann.
Die für das westliche Mitteleuropa typische Ficaria verna subsp. verna (Syn.: subsp. bulbifera) ist tetraploid und vermehrt sich fast ausschließlich vegetativ durch Bulbillen; das sind weiße, etwa getreidekorngroße Brutknöllchen, die aus gehemmten Seitentrieben vor allem in den Achseln der unteren Blätter entstehen, später zu Boden fallen und zu neuen Pflanzen auswachsen. Der diploiden, südwesteuropäischen Stammform Ficaria verna subsp. fertilis (Syn.: subsp. verna auct.) fehlen gewöhnlich die Bulbillen; sie vermehrt sich über Samen.
Blütenbiologisch handelt es sich um „Nektar führende Scheibenblumen“ mit kelchartigen Perigonblättern und kronblattartigen Nektarblättern. Die Nektarblätter zeigen einen Fettglanz; ihre Epidermis ist durch Carotinoide intensiv gelb gefärbt; darunter befindet sich als Reflektor eine weiße Stärke führende Schicht. Die Basis glänzt nicht und reflektiert kaum UV-Licht, sie dient daher auch als Flecksaftmal. Die Blüten zeigen temperaturabhängige Wachstums- und Schließbewegungen; sie sind von 9 bis 17 Uhr geöffnet.
Trotz reichen Insektenbesuchs erfolgt bei der in Deutschland fast ausschließlich vorkommenden subsp. verna (Syn.: subsp. bulbifera) fast kein Fruchtansatz. Die keimenden Samen besitzen entgegen dem für die Klasse der Zweikeimblättrigen typischen Modus nur ein Keimblatt; das andere ist verkümmert. Die Samen erfahren Ausbreitung durch den Menschen mit Erde.
Vegetative Vermehrung erfolgt durch die Bulbillen, die im Mai abfallen, an der Erdoberfläche überwintern und im Frühjahr wieder auskeimen. Als Ausbreitungsmechanismen gelten für sie: Selbstausbreitung sowie Schwimm-, Ameisen- und Speicherausbreitung.
Das Scharbockskraut ist schwerpunktmäßig in Nord- und Mitteleuropa beheimatet. Es kommt aber auch in Kleinasien und in Nordafrika vor, meidet aber in Europa den äußersten Norden. In den Allgäuer Alpen steigt es in Bayern an der Trifthütte nördlich von Warth (Vorarlberg) bis zu 1800 m Meereshöhe auf.[3] In einigen Staaten in Nordamerika, Island und den Färöern breitet es sich als invasive Art aus.[4]
Es gedeiht meist in feuchten Wiesen, Gebüschen, Hecken oder dichten Laubwäldern und an Laubwaldrändern und ist dort im Frühling anzutreffen. Dort bildet sie zumeist die erste grüne Bodenschicht (Krautschicht), noch bevor die Bäume ihre Blätter entwickeln. Es ist eine Art der Klasse Querco-Fagetea, kommt aber auch in Gesellschaften der Verbände Alliarion oder Arrhenatherion vor.[5]
Die ökologischen Zeigerwerte nach Landolt et al. 2010 sind in der Schweiz: Feuchtezahl F = 3+w+ (feucht aber stark wechselnd), Lichtzahl L = 2 (schattig), Reaktionszahl R = 4 (neutral bis basisch), Temperaturzahl T = 3+ (unter-montan und ober-kollin), Nährstoffzahl N = 4 (nährstoffreich), Kontinentalitätszahl K = 2 (subozeanisch).[6]
Systematik
Verwandtschaft
Ficaria verna wurde früher meistens zur Gattung Hahnenfuß (Ranunculus) gestellt. Neuere Untersuchungen zur Phylogenie mittels DNA-Sequenzanalyse von Emadzade et al.[7] haben jedoch gezeigt, dass das Scharbockskraut mit den „echten“ Hahnenfüßen nicht nächst verwandt ist. Die Schwestergruppe zum Scharbockskraut ist die arktische Gattung Coptidium (mit zwei Arten, früher auch zu Ranunculus gestellt). Die nächsten Verwandten von Ranunculus sind die südamerikanischen Gattungen Laccopetalum und Krapfia.
Enger verwandt mit der Art Ficaria verna sind die beiden Arten Ficaria ficarioides(Bory & Chaub.) Halácsy (Syn.: Ranunculus ficarioidesBory & Chaub.), die in Griechenland, auf Karpathos und in Vorderasien vorkommt, sowie Ficaria fascicularisK.Koch (Syn.: Ranunculus kochiiLedeb.), die in Kleinasien vorkommt.[8]
Der Typus von Ranunculus ficariaL. wurde 1954 auf ein Exemplar aus dem Herbarium von Linné, das zur tetraploiden Unterart Ficaria verna „subsp. bulbifera“ gehört, festgelegt. Dies entspricht nicht der bis in die 2000er Jahre gängigen Nomenklatur, die von der diploiden Unterart Ficaria verna „subsp. verna“ als Typus ausging, und machte einige Umstellungen notwendig.[11]
Vom Scharbockskraut (Ficaria vernaHuds.) gibt es fünf Unterarten:[1][12]
Ficaria verna subsp. calthifolia(Rchb.) Nyman (Syn.: Ranunculus ficaria subsp. calthifolius(Rchb.) Arcang., Ficaria calthifoliaRchb.), kommt im östlichen Mitteleuropa und in Südosteuropa vor; die Chromosomenzahl beträgt 2n = 16, 24 oder 32.
Ficaria verna subsp. chrysocephala(P.D.Sell) Stace (Syn.: Ranunculus ficaria subsp. chrysocephalusP.D.Sell), kommt im östlichen Mittelmeergebiet und verwildert auf den Britischen Inseln vor. Die Chromosomenzahl beträgt 2n = 32.
Ficaria verna subsp. fertilis(Lawalrée ex Laegaard) Stace (Syn.: Ranunculus ficaria subsp. fertilisLawalrée ex Laegaard, Ficaria verna subsp. vernaauct., Ranunculus ficaria subsp. ficariaauct.) ist eine Sippe von West- und Südwesteuropa; die Chromosomenzahl beträgt 2n = 16.
Ficaria verna subsp. ficariiformis(F.W.Schultz) B.Walln. (Syn.: Ranunculus ficaria subsp. ficariiformisRouy & Fouc.), kommt im westlichen und zentralen Mittelmeergebiet und mit unsicherem Status in Westeuropa vor; die Chromosomenzahl beträgt 2n = 32.
Ficaria vernaHuds. subsp. verna (Syn.: Ranunculus ficaria subsp. ficaria, Ficaria verna subsp. bulbiferaÁ.Löve & D.Löve, Ranunculus ficaria subsp. bulbiliferLambinon): Sie hat ihren Schwerpunkt in Mitteleuropa, geht aber auch bis Kleinasien, bis ins nördliche Südeuropa und ins südliche Nordeuropa; die Chromosomenzahl beträgt 2n = 24 oder meist 32.
Toxikologie
Das Scharbockskraut ist in allen Teilen giftig, besonders aber im Wurzelstock und in den Bulbillen. Junge Blätter, die vor der Blütezeit geerntet werden, sind jedoch unbedenklich.[13][14]
Hauptwirkstoffe sind Protoanemonin und andere unbekannte Stoffe. Protoanemonin wirkt schleimhautreizend.[14] Vergiftungserscheinungen sind: Übelkeit, Erbrechen und Durchfall.
Verwendung
Nutzpflanze
Wenn man die jungen Blätter erntet, bevor die Blüten kommen, kann man sie als kleine Beigabe zu Salaten oder Quark nehmen. Sie bereichern das Essen mit einem „herben, etwas scharfen Geschmack“.[14] Nur vor der Blütezeit scheinen sie so wenig Protoanemonin zu enthalten, dass sie in mäßigen Mengen unbedenklich genossen werden können.[15] Die Menge der Protoanemonine ist jedoch nicht allein von der Blütezeit abhängig, sondern auch von Standort und Bodenbeschaffenheit. Der energiereichste Teil des Scharbockskrautes sind die kleinen weißen Speicherknöllchen in den Blattachseln sowie an den Wurzeln. Tritt bei einem Geschmackstest ein „stechend-bitterer“ Geschmack auf, sollten die gesammelten Pflanzenteile vor Verzehr getrocknet werden, um sie zu entgiften.[13]
Gefährlich sind Verwechslungen mit anderen Hahnenfuß-Gewächsen, da diese wesentlich größere Mengen an Giftstoffen enthalten.
Scharbockskraut gehörte früher zum Reiseproviant auf Seereisen und wurde von Seefahrern gegessen, die meist kein frisches Gemüse und Obst zur Verfügung hatten. Scharbockskraut enthält sehr viel Vitamin C und verhinderte dadurch Skorbut, eine Vitamin-C-Mangelkrankheit, die Seefahrer früher auf ihren langen Reisen bedrohte. Der Name Scharbockskraut leitet sich von Scharbock ab, eine alte Bezeichnung für Skorbut.[16]
Heute hat das Scharbockskraut in der Heilkunde keine Bedeutung mehr.
Zierpflanze
Das Scharbockskraut wird zerstreut als Zierpflanze für Gehölzgruppen und Rasenflächen genutzt. Es gibt ungefähr 50 Sorten (Auswahl):[17]
'Albus': Die Blütenkrone ist cremeweiß.
'Bowles Double': Die Blüten sind gefüllt, ihre Mitte ist anfangs grün und wird später gelblich.
'Brambling': Die Blätter sind dunkel mit silbernen Flecken.
'Coppernob': Die Blütenkrone ist orange.
'Cupreus’ ('Aurantiacus'): die Blätter sind silbern und weisen eine dunkle Markierung auf.
'Damerham': Die Blüten sind gelb, klein und gefüllt.
'Flore Pleno': Die Blüten sind gelb, gefüllt, und die Rückseite der Kronblätter ist grün.
'Yaffle': Die Blütenkrone ist grün mit gelb.
Bilder
Bestand
Blattoberseite
Blattunterseite
Makroaufnahme Blattoberseite
Makroaufnahme Blattunterseite
Ficaria verna subsp. verna
Gesamtansicht von Ficaria verna subsp. verna: der Stängel weist 2 bis 4 Laubblätter auf, und es ist keine deutliche Grundrosette vorhanden.
Die Laubblätter weisen eine rundliche Spreite auf.
Blattrand von Ficaria verna subsp. verna: die Hydathoden (heller Punkt) befinden sich an der Spitze der undeutlichen Blattrandkerbzähne, die Kerben zwischen den Zähnen sind sehr eng
Diese Sippe pflanzt sich nur vegetativ durch in den Laubblattachseln gebildete Brutknöllchen fort …
… und entwickelt nur verkümmerte Früchte.
Ficaria verna subsp. calthifolia
Die Blütenstiele von Ficaria verna subsp. calthifolia weisen kein oder höchstens ein Laubblatt auf und es ist eine deutliche Grundrosette vorhanden.
Die Laubblätter haben eine eiförmige Spreite.
Blattrand von Ficaria verna subsp. calthifolia: die Hydathoden befinden sich meist in schwachen Kerben, dazwischen befinden sich keine oder rechtwinklige Kerben.
Diese Sippe pflanzt sich sexuell fort, die Fruchtstiele biegen sich nach der Blüte bogig zum Boden.
Die Frucht bringt gut entwickelte, etwas behaarte Nüsschen hervor.
Literatur
Oskar Sebald: Wegweiser durch die Natur. Wildpflanzen Mitteleuropas. ADAC Verlag, München 1989, ISBN 3-87003-352-5, S.26.
Deni Bown: Dumonts große Kräuterenzyklopädie. DuMont, Köln 1998, ISBN 3-7701-4607-7, S. 339.
Elisabeth Mayer: Wildfrüchte, Wildgemüse, Wildkräuter. Leopold Stocker, Graz 2001, ISBN 3-7020-0835-7, S. 25–26.
Ruprecht Düll, Herfried Kutzelnigg: Taschenlexikon der Pflanzen Deutschlands und angrenzender Länder. Die häufigsten mitteleuropäischen Arten im Porträt. 7., korrigierte und erweiterte Auflage. Quelle & Meyer, Wiebelsheim 2011, ISBN 978-3-494-01424-1, S.349–351 (Abschnitt Ökologie).
Lutz Roth, Max Daunderer, Kurt Kormann: Giftpflanzen – Pflanzengifte. Giftpflanzen von A–Z. Notfallhilfe. Vorkommen. Wirkung. Therapie. Allergische und phototoxische Reaktionen. 4. Auflage. Nikol, Hamburg 2000, ISBN 3-933203-31-7 (Nachdruck von 1994).
↑ abPeter Derek Sell: Ranunculus ficaria L. sensu lato. In: Watsonia. Band 20, Nr. 1, S. 41–50, PDF-Datei (englisch).
↑Peter Zwetko: Die Rostpilze Österreichs. Supplement und Wirt-Parasit-Verzeichnis zur 2. Auflage des Catalogus Florae Austriae, III. Teil, Heft 1, Uredinales. (PDF; 1,8 MB).
↑Erich Oberdorfer: Pflanzensoziologische Exkursionsflora für Deutschland und angrenzende Gebiete. Unter Mitarbeit von Angelika Schwabe und Theo Müller. 8., stark überarbeitete und ergänzte Auflage. Eugen Ulmer, Stuttgart (Hohenheim) 2001, ISBN 3-8001-3131-5, S.405.
↑Ranunculus ficaria L. In: Info Flora, dem nationalen Daten- und Informationszentrum der Schweizer Flora. Abgerufen am 7. April 2022.
↑Khatere Emadzade, Carlos Lehnebach, Peter Lockhart, Elvira Hörandl: A molecular phylogeny, morphology and classification of genera of Ranunculeae (Ranunculaceae). In: Taxon Band 59, Nr. 3, 2010, S. 809–828, PDF-Datei.
↑Peter Hadland Davis: Ranunculus (except Subgen. Batrachium). Peter Hadland Davis (Hrsg.): Flora of Turkey and the East Aegean Islands. Vol. 1 (Pteridophyta to Polygalaceae). Edinburgh University Press, Edinburgh 1965, ISBN 0-85224-159-3, S.193–195 (englisch, Nachdruck 1997).
↑William Hudson: Flora Anglica. Selbstverlag, London 1762, S. 214, Vorschau in der Google-Buchsuche.
↑Simon Lægaard: Validation of Ranunculus ficaria L. ssp. fertilis Clapham ex Lægaard (Ranunculaceae) (= Flora Nordica Notes No. 27.). In: Nordic Journal of Botany. Band 20, Nr. 5, 2001, S. 525–526, doi:10.1111/j.1756-1051.2000.tb01597.x.
↑Clive A. Stace: Eleven new combinations in the British Flora. In: Watsonia. Band 27, Nr. 2, S. 243–248, PDF-Datei.
↑ abcMeret Bissegger: Meine wilde Pflanzenküche. Bestimmen, Sammeln und Kochen von Wildpflanzen. 2. Auflage. AT Verlag, Aarau/München 2011, ISBN 978-3-03800-552-0, S. 35.
↑Johannes Vogel: Pflanzliche Notnahrung. Survivalwissen für Extremsituationen. 1. Auflage. peitsch, Stuttgart 2012, ISBN 978-3-613-50677-0, S. 176–178.
↑Eckehart J. Jäger, Friedrich Ebel, Peter Hanelt, Gerd K. Müller (Hrsg.): Exkursionsflora von Deutschland. Begründet von Werner Rothmaler. Band5: Krautige Zier- und Nutzpflanzen. Springer, Spektrum Akademischer Verlag, Berlin/Heidelberg 2008, ISBN 978-3-8274-0918-8, S.147.