Soranos von Ephesos – lateinisch Soranus, deutsch auch Soran (von Ephesos) – war ein griechischer Arzt, der um 100 n. Chr. in Rom tätig war. Er gehörte der methodischen Schule an, war einer ihrer berühmtesten Vertreter, verfasste ein Standardlehrbuch der Gynäkologie und gilt als ein bedeutender Vertreter der vorgalenischen Epoche antiker Medizin.
Soranos war der Sohn des Meandros und der Phoibe. Er studierte in der kleinasiatischen Stadt Ephesos und in Alexandria, bevor er zur Zeit der Kaiser Trajan und Hadrian in Rom tätig wurde. Dort gehörte er der Schule der Methodiker an und schrieb mehrere medizinische und populäre Werke, die nur teilweise erhalten sind, unter anderem über Frauenkrankheiten (erhalten ist sein aus mehreren Büchern bestehendes Werk über Gynäkologie (griechisch γυναικεῖα), worin auch Texte zur Geburtshilfe und zum Hebammenwesen sowie zur Embryologie und Säuglingspflege enthalten sind), Reproduktionsmedizin, chronische Krankheiten, Hygiene und Chirurgie (erhalten sind zwei Abhandlungen über Verbände und Knochenbrüche). Soranos maß der Anatomie Bedeutung bei, was ihn von den starren Methodikern unterschied. So verfasste er unter anderem eine weitgehend richtige Beschreibung der Fruchtanhangsorgane beim menschlichen Embryo.[1] Es sind noch einige weitere Werke erhalten, darunter biographische (Hippokrates-Vita), etymologische (über die Körperteil-Nomenklatur) und philosophische (π. ψυχῆς, von Tertullian in De anima benutzt) Schriften. Im 5. Jahrhundert fertigte Caelius Aurelianus lateinische Übersetzungen seiner Werke an, denen er eigene Ansichten als Kommentar (etwa zu περἰ ὀξέων καἰ χρονίων)[2] hinzufügte. Sie sind deren einzig erhaltene Quelle.[3] Besonders zu nennen sind hier die drei Bücher über akute und die fünf Bücher über chronische Krankheiten, da mit ihnen der Inhalt der betreffenden verlorenen Schriften Sorans erhalten blieb und dem lateinischen Mittelalter zur Verfügung stand. Zwei seiner frauenheilkundlichen, und für den Hebammenunterricht bedeutsamen Werke wurden um 500 von einem gewissen Muscio[4] (oder Mustio,[5] griechisch Moschion) bearbeitet ins Lateinische übersetzt.[6]
Ausgaben und Übersetzungen
H. Lüneburg (Übers.), Johann Christian Huber (Hrsg.): Die Gynäkologie (Peri gynaikeiōn) des Soranus von Ephesus: Geburtshilfe, Frauen- und Kinder-Krankheiten, Diätetik der Neugeborenen. Lehmann, München 1894.
Johannes Ilberg (Hrsg.): Sorani Gynaeciorum libri IV (= Corpus Medicorum Graecorum. Band 4). Leipzig/Berlin 1927.
Karl Christoph Sproll: Die Fragmente der „Cheirurgumena“ des Soran von Ephesus. Einführung, Übersetzung, Kommentar. Würzburg 1998.
Paul Burguière, Danielle Gourevitch, Yves Malinas: Soranos d' Éphèse, Maladies des femmes, Tome I, livre 1. Texte établi, traduit et commenté. Les Belles Lettres, Paris 1988
Jutta Kollesch, Diethard Nickel: Antike Heilkunst – Ausgewählte Texte. Philipp Reclam jun., Stuttgart 1994, ISBN 978-3-15-009305-4. Nur Gynäkologie, Buch I, Kap. 3. 4 (= CMG IV, S. 4,13–6,3) und […] Kap. 57. 58 (= CMG IV, S. 41,15–44,4) sowie Buch III, Kap. 26–28. Über den hysterischen Erstickungsanfall (= CMG IV, S. 109,9–112,3).
Caelii Aureliani celerum passionum libri III, tardarum passionum libri V, hrsg. von Gerhard Bendz, übersetzt von Ingeborg Pape, Bd. 1: Berlin 1990, Bd. 2: Berlin 1993 (= Corpus Medicorum Latinorum. VI.1 und VI.2).
Véronique Boudon-Millot: Soranos d'Éphèse. In: Richard Goulet (Hrsg.): Dictionnaire des philosophes antiques. Band 6, CNRS Éditions, Paris 2016, ISBN 978-2-271-08989-2, S. 477–480.
Israel Edward Drabkin: Soranus and his system of medicin. In: Bulletin of the History of Medicine 25, 1951, S. 503–518.
↑Jutta Kollesch, Diethard Nickel: Antike Heilkunst. Ausgewählte Texte aus dem medizinischen Schrifttum der Griechen und Römer. Philipp Reclam jun., Leipzig 1979 (= Reclams Universal-Bibliothek. Band 771); 6. Auflage ebenda 1989, ISBN 3-379-00411-1, S. 29, 95–97 (Soran, Gynäkologie, Buch I, Kap. 57. 58), 181 und 190–191.
↑Paul Diepgen, Heinz Goerke: Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 11.
↑Dieter Jetter: Geschichte der Medizin. Einführung in die Entwicklung der Heilkunde aller Länder und Zeiten. Stuttgart/ New York 1992, S. 100.
↑Rino Radicchi: La Gynaecia di Muscione: manuale per le ostetriche e le mamme del VI sec. d. C. Pisa 1970.
↑Wolfgang Wegner: Mustio (Muscio). In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1018 f.
↑Paul Diepgen, Heinz Goerke: Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 17.