Bräker kam 1735 als Sohn einfacher Bauern zur Welt. In seiner Jugend war er Bauernknecht und Salpetersieder. 1754 zog er mit seinen Eltern nach Wattwil. Zu Beginn des Siebenjährigen Krieges warb ihn 1756 ein preussischer Werbeoffizier mit List und Tücke als gemeinen Soldaten für das „Regiment Itzenplitz zu Fuß“ an. Desillusioniert vom Ergebnis seines Aufbruchs in die Fremde, desertierte Bräker noch im selben Jahr während der Schlacht bei Lobositz in Böhmen und kehrte nach Hause zurück.[1] Er heiratete Salome Ambühl (1735–1822)[2] und hatte sieben Kinder, von denen einige bereits im Kindesalter starben. Er verdiente seinen Lebensunterhalt als Kleinbauer und Baumwollfergger. Seit spätestens 1784 litt er an häufigen Kopfschmerzen („migrenie“).
Durch Lesen konnte er seinen Horizont erweitern, und er begann Tagebuchaufzeichnungen zu machen. Entdeckt wurde er von Johann Ludwig Ambühl, dem Wattwiler Schulmeister und Mitglied der Evangelischen Moralischen Gesellschaft im Toggenburg zu Lichtensteig, in die Bräker 1776 aufgenommen wurde. Bräker veröffentlichte in Ambühls Brieftasche aus den Alpen erste Texte. Dank der Bekanntschaft mit Hans Heinrich Füssli, Zürich, konnte er diese dann veröffentlichen. Er las auch Werke Shakespeares und verfasste Kommentare zu diesen.
Die Bedeutung des aufgeklärten Pietisten Bräker liegt vor allem darin, dass mit ihm jemand aus einer Volksschicht zu Wort kommt, von der es sonst keine eigenen Aufzeichnungen aus dieser Zeit gibt. Bekannt geworden ist vor allem der Bericht über seinen halbjährigen Dienst in der Armee Friedrichs des Grossen. Dieser prägte über eine lange Zeit das öffentlich wahrgenommene Bild der preussischen Armee und ihrer zahlreichen Söldnersoldaten. Bräker kann allerdings nicht nur als „Zeuge der Anklage“ wider den Zwang des preussischen Militärsystems im 18. Jahrhundert und als „Musterdeserteur“ gesehen, sondern auch als Zeuge der Wirksamkeit eines positiv zu bewertenden Korpsgeistes verstanden werden.[3] Die aufgefundenen und erst 2015 veröffentlichten Briefe zweier preussischer Regimentskameraden Bräkers erweitern wesentlich das verfüg- und auswertbare Quellenmaterial einfacher Musketiere aus dem Siebenjährigen Krieg.[4] Ihre Sorgen unterscheiden sich erheblich von denen des Soldaten aus der Schweiz. Sie lassen das Alltagsleben preussischer Bauernsoldaten erkennen und geben Hinweise auf die dörfliche Wirklichkeit während des Krieges.
Ernst Wiechert gibt Bräkers Der arme Mann im Toggenburg in seinen Jeromin-Kindern, Band 2, Kapitel IV, eine Schlüsselstellung, als der Dorfschullehrer Stilling seinem Schützling Jons Jeromin wegen der Inflation nach dem Ersten Weltkrieg keine finanzielle Unterstützung mehr zukommen lassen kann und ihm als Letztes dieses Buch kauft: „Sieben Brote reichten für eine oder zwei Wochen, aber ein Buch könne für ein ganzes Leben reichen.“
Bräkers Beschäftigungen mit Shakespeare, eigener Theaterarbeit und Toggenburg tauchen kombiniert in Erich Kästners Gedicht Hamlets Geist auf, in dem es um eine aus dem Ruder laufende Hamlet-Aufführung am «Toggenburger Stadttheater» geht.
Werke
Lebensgeschichte und Natürliche Ebenteuer des Armen Mannes im Tockenburg. Hrsg.: Werner Günther. Reclam, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-15-002601-4.
Holger Böning: Ulrich Bräker, der arme Mann aus dem Toggenburg. Eine Biographie. 2. Auflage. Orell Füssli, Zürich 1998, ISBN 3-280-02455-2.
Dennis Barkmin: Ulrich Bräker: Ein Vorbild im Zeitalter der Globalisierung? Eine Analyse der ökonomischen Denk- und Handlungsmuster des Schweizer Verlegers unter Berücksichtigung der Religionssoziologie Max Webers. Zwischen Traditionalismus und Modernität. ibidem, 2009, ISBN 978-3-89821-974-7.
Kathrin Hilber u. a. (Hrsg.): Sankt-Galler Geschichte 2003. St.Gallen 2003, ISBN 3-908048-43-5 (9 Bände).
Thomas Höhle: Literatur und Autoren zur Zeit der Aufklärung. In: W. Wunderlich (Hrsg.): St.Gallen. Geschichte einer literarischen Kultur. Konstanz 1999, ISBN 3-908701-06-6.
Jürgen Kloosterhuis: Donner, Blitz und Bräker. Der Soldatendienst des ‚armen Mannes im Tockenburg‘ aus der Sicht des preußischen Militärsystems. In: Alfred Messerli, Adolf Muschg (Hrsg.): Schreibsucht. Autobiografische Schriften des Pietisten Ulrich Bräker (1725–1798). Göttingen 2004, S. 129–187.
Manfred Engel: Traumnotate in Dichter-Tagebüchern (Bräker, Keller, Schnitzler). In: Bernard Dieterle, Manfred Engel (Hrsg.): Writing the Dream / Écrire le rêve (= Cultural Dream Studies 1). Königshausen & Neumann, Würzburg 2017, S. 211–238.
↑Susanne Hoffmann: Selbsthilfe im Krankheitsfall bei Ulrich Bräker (1735–1798): Die kulturellen und sozialen Ressourcen des „armen Mannes im Tockenburg“ analysiert mit Pierre Bourdieus Kapitalkonzept. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen, Band 25, 2006, S. 19–41, hier: S. 19.
↑Jürgen Kloosterhuis: Donner, Blitz und Bräker. Der Soldatendienst des ‚armen Mannes im Tockenburg‘ aus der Sicht des preußischen Militärsystems. In: Alfred Messerli u Adolf Muschg (Hrsg.): Schreibsucht. Autobiografische Schriften des Pietisten Ulrich Bräker (1725–1798). Göttingen 2004, S. 170 u. 186
↑Christian F. Zander: „einen Hund estemiert man beßer …“ Preußische Soldatenbriefe (1747–1758). In: Ders.: Fundstücke. Dokumente und Briefe einer preußischen Bauernfamilie (1747–1953). Hamburg 2015, S. 15–158.