Ihre Wurzeln hat Normannia in den frühen Jahren der Burschenschaft Germania Tübingen. 1833 wurde die Germania zu großen Teilen von Studenten des Tübinger Stifts getragen. Aufgrund der Auflösung des Verrufs der Corps gegenüber der Burschenschaft und dem damit einhergehenden, für die Theologiestudenten des Stifts untragbaren Paukverhältnisses traten 1832 15 bis 20 Stiftler bei Germania aus und gründeten 1833 mit anderen Stiftlern eine Gesellschaft der Patrioten, den eigentlichen Vorläufer des Nordland.[2]
Die Patrioten konstituierten sich nach burschenschaftlichen Grundsätzen und trugen die Farben schwarz-gold-rot. Sie änderten im Laufe der Zeit ihren Namen zur Schmidtei, der sich auch eine Fuchsia (schwarz-rot-gold, gegründet am 14. Februar 1835) im Jahr 1837 anschloss. Da die Stiftsleitung das freie Leben in dieser Gruppierung missbilligte, wurde sie durch diese 1840 gewaltsam aufgelöst.
Nordland
Aus den ehemaligen Mitgliedern der Patrioten heraus gründete sich am 27. August 1841 die Verbindung Nordland. Im Mai 1847 beteiligte sich der Nordland an der Schutzwache der Korporationen im „Gogenkrieg“, in dem die Gogen mit Aufständen gegen die Teuerung protestieren. Die Schutzwache wurde danach in Bereitschaft gehalten und zum Kern der Studentenkorps in der 48er-Revolution. Ab 1851 wurden auch Nicht-Stiftler (sog. Stadtstudenten), die bis dato lediglich den Status von Kneipgästen innehatten, als Vollmitglieder aufgenommen. Stadtstudenten war im Gegensatz zu den Stiftlern das Schlagen von Mensuren erlaubt.
Die Revolution von 1848
Als die Nachricht vom Sturz des französischen Bürgerkönigs Louis Philippe in Tübingen bekannt wurde, löste dies eine Welle der Begeisterung aus. Die von Adolf Bacmeister redigierte Kneipzeitung des Nordland wurde mit der französischen Trikolore geschmückt, Bacmeister rief darin zum Kampf um die Freiheit auf. Schließlich entwich Bacmeister aus dem Stift, um in der Welt für die Sache der Freiheit zu wirken. Er ging nach Straßburg und schloss sich der Herwegh’schen Freischar an. Bei einem Gefecht im südlichen Schwarzwald wurde Bacmeister gefangen genommen und ins Bruchsaler Gefängnis, dann auf die Festung Hohenasperg gebracht und von dort wieder entlassen.
Während dieser Zeit herrschte im Nordland nachweisbar eine demokratische Gesinnung, Redner des Nordlands beteiligten sich bei den von Professoren und Studenten organisierten Bürgerversammlungen. Es gab zwei politische Lager: die vaterländischen Vereine und die Volksvereine, von den politischen Richtungen in der Frankfurter Nationalversammlung inspiriert. Der Nordländer Heinrich Lang warf in einer Rede das Wort Republik ins Publikum, was einen Sturm der Entrüstung und die Spaltung der beiden Lager hervorrief. Die Vaterländischen verließen den Saal, mit dem Rest gründete Lang einen demokratischen Verein, der verboten, aber als Volksverein wiedergegründet wurde. Lang widmete sich fortan nur noch der Politik, hielt Reden und verfasste Flugblätter. Verfolgt von der Polizei, setzte er sich in die Schweiz ab und wurde dort Pfarrer.
Im Frühjahr 1849 scheiterte die Frankfurter Nationalversammlung, woraufhin die demokratische Partei im Süden eine gewaltsame Durchführung der beschlossenen Reichsverfassung versuchte. Der Tübinger Volksverein erklärte Preußen zum Reichsfeind und forderte den Anschluss Württembergs an die aufständischen Länder Baden und Pfalz. Die schwäbischen Demokraten zogen nach Stuttgart, doch Regierung und Kammer ließen sich nicht einschüchtern.
Am 9. Juni beschloss das akademische Freikorps, sich der von der Nationalversammlung eingesetzten Reichsregentschaft als der gesetzlichen Oberbehörde zur Verfügung zu stellen, jedoch lösten nicht alle Studenten ihr Versprechen ein.
Am 19. Juni verließ eine Schar von 50 Studenten und Arbeitern Tübingen, um ins Badische zu ziehen. Der Nordland stellte ein beträchtliches Kontingent, sogar sieben Stiftler zogen mit. Der Nordländer Wilhelm Rapp (1828–1907), nach Lang neuer Vorsitzender des Tübinger Volksvereins, blickte in Gernsbach auf die kleine Schar und forderte von dort aus in einem Aufruf „an die ledige Mannschaft Tübingens“, ihnen zu folgen. In Forbach schlossen sich am 26. Juni Freischärler aus Horb am Neckar an.
Die Schar zog im Badischen umher, ohne jedoch auf die Preußen zu stoßen, und wurde allmählich gegen die Schweizer Grenze gedrängt. Ein Teil ging am 11. Juli über die Grenze und fand sich bei Heinrich Lang ein, der Rest ging nach Hause und stellte sich seiner Karzerstrafe. Nach einiger Zeit zog es auch die Exilanten wieder nach Hause, Rapp blieb aber in der Schweiz und trat eine Lehrerstelle an. Nach etwas mehr als einem Jahr kehrte auch er zurück, um sich zu stellen, woraufhin er in Geislingen verhaftet und auf dem Hohenasperg eingekerkert wurde. Rapp wanderte später nach Amerika aus und wurde u. a. Herausgeber deutschsprachiger Zeitungen in Cincinnati und Baltimore sowie der „Illinois Staats-Zeitung“ (Chicago).
Normannia
Anfänge
1861 traten Mitglieder des Nordland nach einem Streit aus und gründeten mit den Mitgliedern der Gesellschaft Döblia am 30. November 1861 die Verbindung Normannia. 1862 löste sich daraufhin der Nordland auf. Im Jahre 1877 erkannten sich schließlich Nordland und Normannia gegenseitig als Mutter- und Tochterverbindung an, die Fahne des Nordlands ging über in die Obhut der Normannia. Das Gründungsdatum wurde auf das Jahr 1841 zurückdatiert. Im Jahre 1905 wurde das heute unter Denkmalschutz stehende Haus der Verbindung fertiggestellt. In den 1920er Jahren wurde der Trinkcomment abgeschafft.
Zeit des Nationalsozialismus
Infolge der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahre 1933 schloss sich die Verbindung Normannia 1934 der Deutschen Burschenschaft an, um der Gleichschaltung der Verbindungen im NSDStB zu entgehen, trat aber bereits 1935 wieder aus, als die DB doch im NSDStB aufzugehen drohte. In dieser Zeit firmierte Normannia als Burschenschaft. 1936 musste sich die Normannia schließlich auflösen und das Haus verkaufen, in das eine Reichsbräuteschule einzog. Danach war die Normannia bis 1945 mit der Landsmannschaft Ghibellinia in der KameradschaftLangemarck zusammengefasst, in der das Aktivenleben unter der Hand fortgesetzt wurde.
Wiedergründung
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Verbindung Normannia 1946 wiedergegründet. Das „bedingte Satisfaktionsprinzip“ (Mensurfechten/Schlagen) sowie der Chargenwichs wurden abgeschafft. Die Rückgabe des Hauses wurde im Sommersemester 1953 erreicht. Ab dem Sommersemester 1957 wurde auch die Mütze nicht mehr getragen, zu offiziellen Anlässen tragen die Mitglieder lediglich das Band.
Seit 1992 darf die Mütze (weiß mit goldrotem Präpuz) wieder zu ausgewählten Veranstaltungen getragen werden. In den 1990er Jahren engagierte sich die Aktivitas gegen rechtsextreme Tendenzen bei Mitgliedsbünden der Deutschen Burschenschaft. 1997 wurde das Normannenhaus unter Denkmalschutz gestellt.
In den Jahren 1963–1965, 1967, 1970, 1972–1973, 1976, 1981 und 2004 hat die Normannia das Stocherkahnrennen, 1975 und 2002 den Kostümpreis gewonnen.
Eduard Lamparter (1860–1945), Landtagsabgeordneter im Volksstaat Württemberg, Theologe
Felician Geß (1861–1938), Historiker und Bibliothekar
Camillo Hailer (1862–1931), Oberamtmann und Landrat von Oberndorf am Neckar
Johannes von Hieber (1862–1951), Theologe, 2. Staatspräsident Württembergs (1920–1924), Kultusminister Württembergs (1918–1920) sowie seit 1898 Mitglied des Reichstags und des württembergischen Landtags
Siegfried Menrad (1928–2013), Professor für Bankwirtschaft an Rechnungswesen an der Universität Tübingen
Martin Brecht (1932–2021), Theologe, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster
Gert Hummel (1933–2004), Theologe, Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Georgien
Dietrich Denecke (* 1935), Geograph, Professor für Geographie an der Universität Göttingen
Hans-Martin Gauger (1935–2024), Romanist, Sprachwissenschaftler und Autor, Professor für Romanische Philologie, Prorektor der Universität Freiburg
Helmut Böhme (1936–2012), Historiker, Präsident der Technischen Universität Darmstadt
Horst Köhler (* 1943), Bundespräsident (zeitweiliges Mitglied der Normannia)
Hans Jochen Henke (* 1945), Jurist, Generalsekretär des Wirtschaftsrats der CDU (2004–2009), Oberbürgermeister von Ludwigsburg (1984–1995), Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium (1995–1998) und Mitglied des Deutschen Bundestages (1998–2002)
Willy Nolte (Hrsg.): Burschenschafter-Stammrolle. Verzeichnis der Mitglieder der Deutschen Burschenschaft nach dem Stande vom Sommer-Semester 1934. Berlin 1934. S. 1096–1098.
Literatur
Hans-Georg Balder: Die Deutsche(n) Burschenschaft(en) – Ihre Darstellung in Einzelchroniken. Hilden 2005, S. 383–384.
Martin Biastoch: Tübinger Studenten im Kaiserreich. Eine sozialgeschichtliche Untersuchung. Sigmaringen 1996 (Contubernium – Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte Bd. 44), ISBN 3-515-08022-8.
Wilhelm von Camerer: Die Gründung der Normannia und die Zeit bis Herbst 1863. Stuttgart 1899.
Wilhelm Lang: Die Geschichte der Verbindung Nordland zu Tübingen 1841–1861. Cannstatt 1914.
Wilhelm Lang: Die Tübinger Feuerreiter 1828–1833. In: Quellen und Darstellungen zur Geschichte der Burschenschaft und der deutschen Einheitsbewegung. 1912, Band 3, S. 84–87.
Georg Schmidgall: Das historische Zimmer der Tübinger Normannia. 1924.
Georg Schmidgall: Die alte Tübinger Burschenschaft 1816–1828. In: Quellen und Darstellungen zur Geschichte der Burschenschaft und der deutschen Einheitsbewegung. 1940, Band 17, S. 1–187.
Georg Schmidgall: Die Tübinger Normannia als burschenschaftliche Verbindung. Tuttlingen 1905.
Georg Schmidgall: Die Tübinger Stiftler und ihre Verbindungen zur Zeit der Befreiungskriege. In: Beiträge zur Tübinger Studentengeschichte. 2. Folge, Heft 3, Februar 1939.
Georg Schmidgall: Zur Vorgeschichte der Tübinger Normannia, ihrer Farben und ihres Wappens. Stuttgart 1919.
Verein Alter Tübinger Normannen: Gedenkbuch der Tübinger Normannia für ihre Gefallenen. Stuttgart 1921.
Paul Wanner für den Verein Alter Tübinger Normannen Weiße Mütze, buntes Band. Gedächtnis und Vermächtnis. Stuttgart 1941.