Die Gemeinde Wengen ist 39,03 km² groß und befindet sich grob in der Mitte des von Norden nach Süden verlaufenden Gadertals (ladinisch Val Badia) in Ladinien. Die größten Siedlungsflächen, darunter der kleine Dorfkern St. Genesius (1320–1400 m s.l.m., San Senese) sowie zahlreiche kleinere Weiler (viles), befinden sich im nach Osten vom Haupttal abzweigenden Wengental (Val de Spëscia) das vom Wengener Bach (Rü de Ćiampló) durchflossen wird.
Im Osten und Südosten wird das Wengental von schroffen Gebirgskämmen der Fanesgruppe, einer Untergruppe der Dolomiten, begrenzt. Zu den bedeutendsten Bergen Wengens zählen (von Süden nach Norden) der Heiligkreuzkofel (2907 m, Sas dla Crusc), der Zehner (3026 m, Sas dles Diesc), der Neuner (2968 m, Sas dles Nü) sowie durch das Antonijoch (Ju de Sant’Antone) und das kleine Fanestal von den vorhergehenden getrennt die Antonispitze (2655 m, Piz de Sant’Antone) und der Pares (2396 m, Sas de Crosta). Große Teile des Wengener Anteils an der Fanesgruppe sind im Naturpark Fanes-Sennes-Prags unter Schutz gestellt. Im Norden trennt ein sanfter Höhenzug, der die Kreuzspitze (2021 m, Crusc de Rit) trägt, das Wengental von Enneberg. An den Südhängen dieser bewaldeten Kette befinden sich die meisten viles mit ihren landwirtschaftlichen Nutzflächen. Im Süden begrenzen die Armentara-Wiesen (Pra d’Armentara) das Wengental nach Abtei hin.
Der Anteil Wengens am Gadertaler Haupttal ist relativ klein. Hier befindet sich direkt an der Gader (Gran Ega) gelegen das Dorf Pederoa (1150–1200 m, Pidrô), wo die ganzjährig befahrbare Gadertalstraße Richtung Norden nach St. Martin in Thurn und weiter ins Pustertal in der Gegend von Bruneck führt, und wo die Straße zum Wengener Siedlungskern Richtung Osten abzweigt. An der westlichen Talseite des Gadertals befinden sich noch auf Wengener Gemeindegebiet Teile der nordöstlichen Ausläufer der Puezgruppe, die das Gadertal vom Campilltal trennen.
Geologie
Der Name Wengener Schichten oder Wengen-Formation, auf Italienisch Formazione di La Valle, stammt von diesem Dorf.
Geschichte
Eisenzeit
Auf den Almen der Ritwiesen und von Armentara finden sich viele kleine einfach gebaute Heuhütten. Es wird vermutet, dass diese in der Bauart bis auf die Latènezeit (300 bis 100 vor Christus) zurückgehen. Inzwischen sind auch diese Hütten vom technischen Fortschritt eingeholt worden, da das Heu jetzt in Plastiksäcken eingeschweißt wird (Ballen-Silage). Die alten Hütten dienen noch als Gerätehütte oder werden zu kleinen Freizeithütten umgebaut.
Mittelalter
Bereits in den Jahren 1039–1041 übertrug Graf Volkhold das obere Gadertal beiderseits des Gaderbaches dem von ihm gestifteten Kloster Sonnenburg (bei St. Lorenzen) im Zuge von dessen Gründungsausstattung.[1] Im sogenannten Calendarium Wintheri, einem Nekrolog des Brixner Domkapitels, aus der Zeit um 1225/30 ist erstmals Wengen selbst als Twenge genannt.[2] Aus dem Jahr 1296 stammt ein Sonnenburger Urbar, das einzelne Orte aufführt. Von Wengen werden Runch, „Pitzedatze“ (Picedac auf der westlichen Wengenseite) und Promperch (ebenfalls auf der westlichen Seite) und Rü genannt.[3]
Als ältestes Gehöft (oder Weiler) gilt Tolpëi hinter der Barbarakapelle und Alt-Wengen. 1382 wird die alte Kirche Hl. Genesius in Alt-Wengen erwähnt. Die Weiheurkunde der St.-Barbara-Kapelle, derer zweiten Schutzpatron der Hl. Florian ist, stammt aus dem Jahr 1491. Die Hl. Barbara ist die Schutzpatronin der Bergleute. Es wird vermutet, dass die Kapelle von Bergknappen aus dem Tal von Buchenstein (lad. Fodom) erbaut wurde. Einer lokalen Überlieferung zur Folge soll im nahen Tolpëi früher Silber abgebaut worden sein, was ebenfalls erklären könnte, weshalb die Schutzpatronin der Bergleute hier eine Kapelle hat. Für die Überlieferung spricht, dass der Schürfbau von Bleierzen und Silber für das 16. Jahrhundert nachgewiesen ist, also auch schon früher im 15. Jahrhundert betrieben worden sein könnte.
Die Abbildung links zeigt einen kleinen Ausschnitt aus dem Altarbild der Kapelle, das von „Giachomo Kolz anno 1806“ angefertigt wurde. Den Weg, der nach links unten führt, gibt es heute immer noch, er hat aber keine große Bedeutung mehr. Die Kapelle hatte die Funktion, mit ihrem Geläut und Glockenschlag akustisch das westliche Tal und die andere Wengenseite zu erreichen, da die alte Kirche ungünstig in einem Talwinkel gebaut wurde.
Im 16. Jahrhundert Schürfbau von Eisenerzen und Silber in Tolpei unweit der Barbarakapelle, die der Schutzpatronin der Bergleute geweiht ist.
Im Jahre 1785 wurden unter Kaiser Joseph II. im Zuge des nach ihm benannten Josephinismus dem Kloster Sonnenburg seine Grundherrenrechte, die es bis dahin immer noch im Gadertal hatte, genommen. Im Zuge dieser Säkularisation wurde auch die Barbarakapelle 1786 (ähnlich wie die Heilig-Kreuz-Kirche (Abtei)) für eine nicht mehr bekannte Anzahl von Jahren gesperrt.
Im Jahr 1874 war die Einweihung der heutigen neuromanischen Hl.-Genesius-Kirche auf dem „Plan da Murin“ (Mühlplatz). Am Rande eines der Deckengemälde ist die Kirche selbst mit dem Neuner im Hintergrund abgebildet. 1933 wird dann die alte Hl.-Genesius-Kirche, die zu klein geworden war und seit der Einweihung der neuen Kirche kaum noch benutzt wurde, bis auf den Glockenturm und ein paar Fundament- und Mauerreste abgetragen. Durch die zentrale Lage der neuen Kirche ist auch die alte Barbarakapelle sozusagen funktionslos geworden.
Im Ersten Weltkrieg war Wengen gar nicht so weit von der Front entfernt. Die Dolomitenfront verlief südöstlich der Gader. Die Fanes war österreichisches Nachschubgebiet. Die Militärstraße dorthin verlief von der Nachbargemeinde Enneberg durch das Rautal. Wengen gehörte bis zum Ende des Ersten Weltkriegs zum Gerichtsbezirk Enneberg und war Teil des Bezirks Bruneck.
Mit Ende des Ersten Weltkrieges kam Südtirol an Italien, so auch Wengen. Nach dem Ersten Weltkrieg versuchte Mussolini Südtirol zu italienisieren. Jeder Ort, auch die ladinischen, bekam eine italienische Bezeichnung, so wurde Wengen bzw. La Val zu La Valle. (Das Gehöft oberhalb von La Val wird allerdings schon auf österreichischen Karten italienisch „Campo“ (Feld) genannt. Heute heißt es ladinisch Ćians.) Die ladinische Sprache wurde während des italienischen Faschismus (vgl. ausführlicher Questione Ladina) zum italienischen Dialekt erklärt. 1928 wurde das bis dato eigenständige Wengen der Gemeinde St. Martin in Thurn zugeschlagen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der „Befreiungsausschuss Südtirol“ aktiv. Strommasten wurden gesprengt, auch Polizisten wurden umgebracht, wobei die Täterfrage hier umstritten ist (Geschichte Südtirols). In Wengen wurde jedenfalls das Böllern verboten, das sonst an Feiertagen stattfand. Auch war eine Zeit lang das Andreas-Hofer-Lied für die Blaskapellen verboten. Einige alte Fotos von Wengen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts finden sich im Museum Ladin auf Schloss Thurn.
1951 wurde in Wengen die Sage vom Reich der Fanes von der Bevölkerung in szenischer Darbietung aufgeführt.
1964 wurde Wengen wieder aus St. Martin herausgelöst und erneut eine eigenständige Gemeinde.
1968 brannte das Gehöft „Costa“ ab und wurde neu aufgebaut.
Letztendlich brach die moderne Zeit in den 1980er Jahren in Wengen herein, als alle Gehöfte an asphaltierte Fahrwege angeschlossen wurden. Nicht zuletzt machte dies das Zweite Autonomiestatut für die Autonomen Provinz Bozen – Südtirol möglich. Wie schon vorher andere Gemeinden Südtirols erlebt jetzt auch Wengen starkes Wachstum. In den 1950er Jahren bestand der Hauptort noch aus der Kirche, dem Haus des Messners, einem Wohnhaus und einem Gasthaus. Eine Ausdehnung erschien auch schwierig, weil talabwärts und bergaufwärts das Gelände wieder rasch steil wurde. Doch in den 1960er Jahren entstand am Abhang ein zweites Gasthaus, das inzwischen schon oft umgebaut und erweitert worden ist. Dies war nur der Anfang. Seitdem ist unterhalb und oberhalb von Wengen eine (noch) kleine Siedlung entstanden mit einigen Geschäften, zahlreichen Pensionen und Wohnhäusern. Eine Zersiedelung des Tales konnte bis jetzt aber vermieden werden.
Auch Wengen steht jetzt vor der Schwierigkeit, wie die alte gewachsene Kultur bewahrt bleiben kann. Die alten Bauernhäuser genügen nicht mehr modernen Anforderungen, sie werden verlassen, einige teuer und gelungen modernisiert, manche einfach abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Zum Teil werden neue Häuser in Anlehnung an ladinische Stilelemente errichtet, billigere Häuser werden einfach im „Tiroler Stil“ errichtet.
Pläne, Wengen dem Skisport zu erschließen, wurden nicht verwirklicht, auch aus Sorge um die Tradition. Trotzdem sind im Winter mehr Gäste in Wengen als im Sommer. Ein Shuttle-Bus befördert die Touristen in die nahen Skigebiete.
Rumestluns
Im neunzehnten Jahrhundert war Wengen mit seinem Heilbad (Al Bagn) in Rumestluns („Rumschlungs“, Bad Rumustluns, 1412 m s.l.m.) überregional bekannt. Rumestluns liegt südlich des Wengenbaches etwas schattig an der Mündung des von der Armentara kommenden Baches „Rü da la Gana“ (Bach zur wilden Frau) in den Wengenbach. Das Heilbad war ein Schwefelbad mit radioaktivem Wasser (3,1 Mache-Einheiten). Es soll gegen zahlreiche Krankheiten wie Geschlechtskrankheiten, Skorbut und skrofulöse Geschwülste geholfen und Rheuma, Rotlauf und Podagra vorgebeugt haben.
Als bekanntester Gast gilt Max Planck. Auf alten Fotos im Burgmuseum in Sankt Martin in Thurn sind englische Touristen mit einheimischen Fremdenführern in Rumestluns abgebildet. Das alte Bad wurde 1978 durch einen Neubau ersetzt und wird inzwischen nur noch als Gasthof betrieben. Die Quelle (Kieselsäure, Schwefelsäure, Schwefelwasserstoff und andere Stoffe) gilt als zu unergiebig bzw. die medizinischen Auflagen sind zu streng und damit zu teuer geworden, um den Betrieb zu lohnen.
Wirtschaft
Viele Einwohner verdienen ihren Lebensunterhalt im Tourismus (Wengen ist Mitglied des Tourismusverbands Alta Badia) und mit dem (Kunst-)Handwerk. Auch die Landwirtschaft spielt eine wirtschaftliche Rolle. Im etwas sonnenarmen Talort Pederoa ist an der Gadertalstraße ein kleines Gewerbegebiet entstanden mit (kunst-)handwerklichen Betrieben.
Bildung
In Wengen befindet sich eine Grundschule für die ladinische Sprachgruppe, die dem Schulsprengel der Nachbargemeinde Abtei angeschlossen ist.[4]
Die bedeutendsten kirchlichen Gebäude sind die Pfarrkirche Hl. Genesius, die alte Kirche, von der noch in Alt-Wengen der Turm steht, und die Barbarakapelle, die zum Wahrzeichen des Ortes geworden ist.
Daneben gibt es weitere Kapellen in Rumestluns, in Pederoa, in Aiarei und eine neuere in Ćiampëi über dem Gadertal.
Schließlich gibt es kleine Wegekapellen bei Runch und Tolpei, auch die Prozessionsstationen um den Hauptort könnte man dazu zählen.
Zahlreich sind die Wegekreuze, die früher Wegegabelungen und gefährliche Stellen markierten oder als Orientierungshilfe dienten.
Bemerkenswert sind schließlich kleine Heiligtümer, die wohl noch auf heidnische Zeiten zurückgehen. Zwischen Baumwurzeln oder in kleinen Steinhöhlen finden sich noch gelegentlich kleine Madonnenaltäre. Unterhalb des Neuners im Gebiet des Naturparks Fanes-Sennes-Prags wurde an einem Felsblock auf einer einsamen Lichtung jüngst eine bronzene Tafel zu Ehren des heiligen Hubertus angebracht.
Namen
Neben den ladinischen Ortsbezeichnungen gibt es historische deutsche oder deutsch ausgesprochene ladinische Ortsnamen sowie italienische Ortsbezeichnungen.
Das ladinische Toponym La Val bedeutet schlichtweg „Tal“. Der deutsche Ortsname geht auf althochdeutschwangun ‚(bei den) Wiesenhängen‘ zurück, eine direkte Übersetzung des einstmals bevölkerungsreichsten Ortes Cians.
Die Aussprache des Ladinischen folgt den Gepflogenheiten romanischer Sprachen, so wird Cians „Tschans“ und Spëscia „Spescha“ ausgesprochen.
Einen Hinweis auf die ladinische Ortssprache geben auch die einheimischen Familiennamen wie Colz, Comploier, Frenes, Miribung, Moling, Tavella mit den ladinischen Ortsnamen Côz, Frëines, Miribun, Morin, Taéla.
Künstler
Dominikus Moling (* um 28. August 1691 in Wengen, Südtirol; † 27. Mai 1761 ebenda), Bildhauer
Franz Tavella (* 10. Oktober 1844 in Wengen; † 12. Dezember 1931 in Brixen), Bildhauer und Bildschnitzer
Stefania A. Pitscheider: Die sakrale Kunst in La Val/Wengen. Pluristamp, Bozen 2003.
Rudolf Schwindl: Die Eisenbergwerke und die Eisenhüttenwerke des Bischofs von Brixen in Buchenstein und im Gadertal. Istitut Ladin „Micurá de Rü“
Karl Felix Wolff: Dolomitensagen. Sagen und Überlieferungen, Märchen und Erzählungen der ladinischen und deutschen Dolomitenbewohner. Mit zwei Exkursen Berner Klause und Gardasee. Unveränderter Nachdruck der 1989 in der Verlagsanstalt Tyrolia erschienenen sechzehnten Auflage. Verlagsanstalt Athesia Bozen 2003 [1913]. ISBN 88-8266-216-0S. 462ff. werden Wengen und die Wengener erwähnt.
Tondokumente
Kirchturmuhr:
Weblinks
Commons: Wengen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
↑Martin Bitschnau, Hannes Obermair: Tiroler Urkundenbuch, II. Abteilung: Die Urkunden zur Geschichte des Inn-, Eisack- und Pustertals. Band 1: Bis zum Jahr 1140. Universitätsverlag Wagner, Innsbruck 2009, ISBN 978-3-7030-0469-8, S.XXXI ff., 174–182 Nr. 201 (Einleitung und Gründungsbericht).
↑Bertha Richter-Santifaller: Die Ortsnamen von Ladinien (= Schlern-Schriften. Band 36). Innsbruck: Wagner 1937, S. 1 (Digitalisat).
↑Karl Wolfsgruber: Die ältesten Urbare des Benediktinerinnenstiftes Sonnenburg im Pustertal (= Die mittelalterlichen Stiftsurbare des Bistums Brixen. Band 1). Wien: Böhlau 1968.