Der Windsbacher Knabenchor ist ein in Windsbach in Mittelfranken ansässiger Internatsknabenchor und gehört zur internationalen Spitze der Knabenchöre. Mit seiner über 75-jährigen Geschichte steht das Ensemble in der Tradition der großen deutschen Knabenchöre, deren Aufgaben nicht allein in ihrer Konzerttätigkeit liegen, sondern gleichermaßen in der Erfüllung liturgischer Aufgaben. Der Chor ist eine Einrichtung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.
Der Windsbacher Knabenchor gilt als eines der führenden Ensembles seiner Art. Musikalisch liegt der Schwerpunkt auf geistlicher Musik, wobei das Repertoire von der Renaissance bis zur Moderne reicht. Bei bis zu 50 Konzerten in Deutschland und dem Ausland erreicht der Chor jedes Jahr zehntausende von Konzertbesuchern.
Neben den Konzerten erfüllt der Chor als Einrichtung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Bayern liturgische Aufgaben in Franken. Dazu zählen bei den Windsbachern die Gottesdienste in Windsbach, Chorandachten in der Region und die Motetten in der Sankt-Lorenz-Kirche in Nürnberg, mit denen der Chor fest im Kulturleben der Stadt verwurzelt ist. 1955 wurden die Lorenzer Motetten ins Leben gerufen, die der Windsbacher Knabenchor seitdem musikalisch gestaltet. In jährlich sechs bis acht Motetten erklingen Werke für Chor a cappella aus sämtlichen Epochen. Weitere Bestandteile dieser besonderen Gottesdienste sind Orgelmusik, Lesung, Gebet, Gemeindelied und Segen. Diese gut besuchten Andachten haben das kirchliche Leben in St. Lorenz und den Chor über die Jahre wechselseitig geprägt. Mitten im Trubel der Nürnberger Altstadt können Besucher im gotischen Kirchenraum erleben, wie Raum, Wort und Musik zu einer spirituellen Einheit verschmelzen.
Zum Internatsknabenchor gehören in der Regel bis zu 130 Sänger. Einsteiger aus den 4. und 5. Klassen durchlaufen in der Chorvorbereitung zunächst eine ca. einjährige Grundausbildung, in der sie die grundlegenden Techniken des Chorsingens und Musiktheorie lernen. Ist ihre Stimme reif genug, wechseln sie in den Probenchor, wo sie das aktuelle Repertoire einstudieren. Aus dem Probenchor wählt der Chorleiter die Besetzung für den Reise- und Konzertchor. Dieser umfasst je nach Programm 50 bis 80 Sänger. Die Jungen im Alter von 9 bis 19 Jahren singen die Stimmlagen Sopran, Alt, Tenor und Bass.[1]
Bei regelmäßigen Vorsingterminen können sich junge Talente aber auch als Quereinsteiger aus höheren Klassen beim Chorleiter vorstellen und um die Aufnahme in den Windsbacher Knabenchor bewerben. Seit 2020 wird auch Online-Vorsingen per Videokonferenz angeboten.[2]
Im Rahmen seiner Nachwuchssuche betreibt der Windsbacher Knabenchor in Bayern mehrere Chorschulen für Grundschüler. Bei den sogenannten „Klangfängern“ in Würzburg, Nürnberg, Pappenheim, Bad Windsheim und Windsbach können Jungen unter professioneller Anleitung grundlegende Fähigkeiten den Chorsingens erlernen und bei kleinen Auftritten darbieten.[3]
Geschichte
Hans Thamm
Hans Thamm, ehemaliger Sänger des Dresdner Kreuzchors, wurde 1946 als Chorpräfekt in das Evangelische Pfarrwaisenhaus Windsbach berufen. Neben dieser Tätigkeit unterrichtete Hans Thamm auch das Fach Musik am Humanistischen Gymnasium in Windsbach. Binnen kurzer Zeit formte er unter schwierigen materiellen Umständen aus einem Schul- und Internatschor einen hervorragenden Knabenchor. Noten und Partituren mussten damals noch von Hand kopiert werden. Lebensmittel für das Internat ersangen die Jungen in den umliegenden Dörfern. Zu den Konzerten gingen die Sänger noch zu Fuß.
Seine erste große Bewährungsprobe bestand der Chor, jetzt bereits als Windsbacher Knabenchor, auf der Ansbacher Bachwoche 1948. Chorleiter Thamm wurde sowohl von Rudolf Mauersberger als auch von Karl Richter dazu ermutigt, durchzuhalten und an seinem Projekt weiterzuarbeiten. Sehr bald begannen regelmäßige Tonband-Aufnahmen durch den Bayerischen Rundfunk. Von den dafür geleisteten Honoraren bekamen die Chorschüler ein Stipendium, das es vielen Eltern erst ermöglichte, die Internatskosten zu bezahlen.
Ab Mitte der 1950er Jahre war die Existenz des Chores durch den Stimmbruch eines Großteils der jugendlichen Chorsänger gefährdet. Als Lösung war der Umzug des Chores an die Sankt-Lorenz-Kirche nach Nürnberg vorgesehen, um in der Großstadt mehr Chorsänger zu bekommen. Da diese Idee bei der Landeskirche nicht auf Gegenliebe stieß, wurde 1957 mit Hilfe öffentlicher Mittel das erste Chorhaus in Windsbach gebaut. Durch die dazu gewonnene Kapazität konnten nach dem Vorbild der Regensburger Domspatzen nun auch Grundschüler in Chor-Vorbereitungsklassen aufgenommen werden. Erste Schallplatteneinspielungen entstanden im Jahr 1958 unter dem Label Capella, später umbenannt in Cantate (Decca).
Im Jahr 2010, drei Jahre nach dem Tod des Chorgründers Hans Thamm, veröffentlichte eine Gruppe ehemaliger Internatsschüler Vorwürfe gegen diesen wegen angeblicher Kindesmisshandlungen in den 1950er und 1960er Jahren.[4] Die Internatsleitung sorgte umgehend für eine externe Aufklärung, deren Ergebnisse sie nach Abschluss der Untersuchung publizierte, und entschuldigte sich öffentlich bei den Betroffenen.
Karl-Friedrich Beringer
Thamms Nachfolger Karl-Friedrich Beringer übernahm 1978 die Leitung des Chores. Unter seiner Ägide entwickelte sich der Windsbacher Knabenchor sehr rasch zu einem international renommierten Vokalensemble. Beringer erweiterte das Repertoire der Windsbacher und arbeitete für seine Aufführungen mit deutschen Spitzen-Orchestern zusammen. Karl-Friedrich Beringer wurde 1992 die Leitung des Dresdner Kreuzchors und kurz darauf des Thomanerchors Leipzig in Leipzig (wie schon 1957 Hans Thamm) angetragen.
Im Jahr 2004 wurden in der Presse Vorwürfe der Misshandlung Schutzbefohlener gegen Chorleiter Karl Friedrich Beringer laut.[5] Untersuchungen der zuständigen Staatsanwaltschaft Ansbach konnten den Verdacht gegen Beringer nicht erhärten. Sie stellte im Gegenteil fest, eine Misshandlung Schutzbefohlener könne ausgeschlossen werden.[6]
Im Dezember 2011 wurde Karl Friedrich Beringer nach 34 Jahren beim Windsbacher Knabenchor verabschiedet.[6]
Martin Lehmann
Im Jahr 2012 wurde der ehemalige KruzianerMartin Lehmann, bis dahin Leiter der Wuppertaler Kurrende, Musikalischer Leiter des Windsbacher Knabenchores. 2017 wurde er zum Kirchenmusikdirektor ernannt. Mit der Auszeichnung würdigt die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern Lehmanns Verdienste um die Kirchenmusik durch seine Arbeit mit dem Windsbacher Knabenchor.[7] Zahlreiche CD-, Fernseh- und Radiomitschnitte dokumentieren seine Arbeit mit dem Chor.
Im Juli 2021 gab er bekannt, dass er den Chor zum Schuljahr 2022/23 verlassen wird und stattdessen als Kreuzkantor in Dresden tätig sein will. Sein Nachfolger wurde Ludwig Böhme.[8]
Ludwig Böhme
Zum 1. September 2022 hat der Leipziger Chordirigent und Sänger Ludwig Böhme als Künstlerischer Leiter den Windsbacher Knabenchor übernommem. Eine neunköpfige Findungskommission wählte ihn nach einem anspruchsvollen Bewerbungsverfahren zum Nachfolger von Martin Lehmann. Damit konnte sich Böhme gegen 25 Mitbewerber durchsetzen.[9] Ludwig Böhme ist Mitgründer des international renommierten Leipziger Calmus Ensembles sowie künstlerischer Leiter des Leipziger Synagogalchors und des Kammerchors Josquin des Préz, die er im Zuge seines Wechsels nach Windsbach verlässt. Böhmes Wahl zum Chorleiter in Windsbach werde mit überwältigender Mehrheit aus Belegschaft und Chorsängern mitgetragen.[10]
Ausbildung in Schule und Sängerinternat
Die meisten Sänger sind im Internat untergebracht und werden im Johann-Sebastian-Bach-Gymnasium unterrichtet. Für die Mitglieder des Windsbacher Knabenchors wurde dort eigens der Zweig Musikgymnasium mit einer Reihe von Sonderregelungen eingerichtet. Musik ist hier ein Hauptfach wie Englisch oder Mathematik. Die für die Sänger verbindliche Sprachenfolge Englisch – Latein gewährleistet, dass sie in eigenen, kleinen Klassen unterrichtet werden können. Da die Chorschüler wegen vielfältiger Proben- und Konzertverpflichtungen immer wieder in der Schule fehlen, erhalten sie in den Kernfächern zusätzlichen Unterricht.
Um die Erledigung von Hausaufgaben sowie Vertiefung von Lehrstoff sicherzustellen, ist für die Schüler der Unter- und Mittelstufe die tägliche Studierzeit im Internat obligatorisch. Außerdem wird je nach Leistungsstand in diesem Rahmen fachbezogen eine vertiefende Lernstoffvermittlung angeboten.
Obwohl konfessionell geprägt, steht das Sängerinternat offen für Jungs jeder Herkunft, Konfession oder Religion. Der Internatsalltag spielt sich in den verschiedenen Häusern und auf dem weitläufigen Gelände in Windsbach ab. Die Sänger wohnen bis zur 9. Klasse in Zweierzimmern. Ab der 10. Klasse beziehen sie Einzelzimmer im sogenannten Haupthaus. Zehn bis zu zwanzig Jungen gleichen Alters bilden jeweils eine Wohngruppe, die von einem Erzieher betreut wird. Für Unterbringung im Internat fallen Kosten an, die zum Teil von der Landeskirche übernommen werden. Finanziell schlechter gestellte Familien können zusätzlich Stipendien oder staatliches BAföG beantragen, welches bei Besuch des Gymnasiums nicht zurückgezahlt werden muss.
Der Knabenchor ist eine selbstständige Anstalt des öffentlichen Rechts und wird finanziell von kirchlicher, staatlicher und privater Seite unterstützt. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern deckt mit ihren Zuschüssen etwa 40 Prozent des jährlichen Haushalts der Einrichtung. Die Unterstützung durch private Gönner setzt sich im Wesentlichen aus den Zuwendungen der Fördergesellschaft Windsbacher Knabenchor[11], den Spenden der Mitglieder des Patronats, eines Zusammenschlusses von Geldgebern aus der Region Nürnberg unter der Schirmherrschaft von Thomas Gottschalk, den Mitteln der Stiftung Windsbacher Knabenchor sowie aus sonstigen Einzelspenden zusammen.
Konzerte und Reisen
Mit seinen rund 130 Sängern (Konzert- und Reisechor: 50 - 80 Sänger) hat der Chor circa 20 liturgische Auftritte im Jahr und gibt bis zu 50 Konzerte. Dazu zählen auch jährlich etwa ein bis zwei größere Tourneen, die bisher in das europäische Ausland (Norwegen, Finnland, Malta, Frankreich, Großbritannien, Niederlande, Belgien, Polen, Spanien, Griechenland, die Schweiz, Luxemburg, Italien), die damalige UdSSR, den Nahen Osten (Israel), den Fernen Osten (China, Japan, Taiwan, Singapur), nach Australien, in die USA, sowie nach Südamerika (Brasilien, Paraguay, Argentinien, Uruguay) führten. Der Chor begleitete die BundespräsidentenRichard von Weizsäcker und Roman Herzog bei Staatsbesuchen und konzertierte auch für die Bundespräsidenten Johannes Rau, Horst Köhler, Christian Wulff und Joachim Gauck. Seit 2009 waren die Windsbacher bei fünf Tourneen mit deutschen Volksliedern in den größten Städten der Volksrepublik China zu hören.
Der musikalische Schwerpunkt des Windsbacher Knabenchors liegt auf der geistlichen Musik, wobei das Repertoire von der Renaissance bis zur Moderne reicht. Neben A-cappella-Werken aller Epochen umfasst es vor allem die großen Werke von u. a. Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel, Wolfgang Amadeus Mozart, Felix Mendelssohn Bartholdy, Johannes Brahms, Anton Bruckner, Max Reger und Igor Strawinsky.
Max Liedtke, Horant Schulz: Knabenchor – Last, Glück, Lebenschance? Eine Untersuchung am Beispiel des Windsbacher Knabenchors. Wißner-Verlag, Augsburg 2012, ISBN 978-3-89639-845-1.
Max Liedtke: Zur Gründung und Entwicklung des Windsbacher Knabenchors. 100 Jahre Hans Thamm & 75 Jahre Chor. Herausgegeben von Max Liedtke und Werner Ertel, Wißner-Verlag, Augsburg 2021, ISBN 978-3-95786-280-8.
↑Max Liedtke, Horant Schulz: Knabenchor – Last, Glück, Lebenschance? Eine Untersuchung am Beispiel des Windsbacher Knabenchors. Wißner-Verlag, Augsburg 2012, ISBN 978-3-89639-845-1.