Die documenta 8 fand vom 12. Juni bis 20. September 1987 erneut (nach der documenta 6 1977) unter der künstlerischen Leitung Manfred Schneckenburgers statt.
Ursprünglich war die Leitung der Ausstellung an Harald Szeemann (der ebenfalls bereits eine documenta: die d5 1972 geleitet hatte) und Edy de Wilde vergeben worden. Inhaltliche Differenzen und Spannungen zwischen den beiden machten eine Durchführung nach diesem Konzept jedoch unmöglich. Manfred Schneckenburger erklärte sich bereit einzuspringen und noch einmal die Weltausstellung der Kunst in Kassel zu organisieren.
Die documenta 8 zählte nahezu eine halbe Million (474.417) Besucher und war endgültig zum kulturellen Großereignis geworden.
Die Schwerpunkte der d8 lagen auf der künstlerischen Auseinandersetzung mit Krieg und Gewalt, mit Utopien und gleichzeitig mit Utopieverlust. Die Wechselbeziehungen zwischen Kunst und Architektur und Design wurden beleuchtet. Videokunst und zahlreiche Performances nahmen einen breiten Raum in der Ausstellung ein.
Die Auswahl der Kunstwerke und Künstler wurde von der Kunstkritik teilweise als „beliebig“ gescholten. Die d8 sei „weniger eine Ausstellung als ein Kaleidoskop von Inszenierungen“.[1] Das Publikum sah das im Wesentlichen anders.
Nahm die Malerei auf der documenta 7 noch einen breiten Raum ein, so war sie auf der d8 deutlich schwächer vertreten. Die Videokunst (z. B. von Nam June Paik, Fabrizio Plessi, Marie-Jo Lafontaine und anderen) war sehr stark vertreten. Diese Präsenz, auch die des (angewandten) Designs auf der d8, wird, auch im Rückblick zu dieser Ausstellung, als wichtiger Beitrag zur Kunstentwicklung bewertet.
Zu Beginn der d8 vollendete Wenzel Beuys, der Sohn von Joseph Beuys, dessen bei der documenta 7 begonnene „Stadtbewaldungs-Aktion“ 7000 Eichen, indem er den letzten Baum pflanzte. Joseph Beuys selbst hatte zu Lebzeiten 5500 Eichen gepflanzt, die Aktion wurde postum weitergeführt.
Viele Außenkunstwerke der documenta 8 setzten sich mit räumlichen Wechselbeziehungen und Bezügen zum Stadtraum und der Architektur vor Ort auseinander. Richard Serras rostige Stahlplatten verstörten die Fußgänger als Bollwerk mitten auf der Wilhelmsstraße, George Trakas lud mit seinen Treppenbauten auf dem Königsplatz ein, mit einem anderen Standpunkt eine andere Sichtweise einzunehmen. Er nahm damit die Auseinandersetzungen mit dem Treppenbauwerk auf dem Königsplatz einige Jahre später vorweg.
Norbert Radermacher ironisierte subtil die Allerweltsarchitektur eines Parkhauses, indem er – klassischen Gebäuden gleich – auf die Stützen zwei kleine graue Vasen setzte. Tadashi Kawamata hingegen provozierte die Kasseler und ihren Umgang mit historischer Bausubstanz mit einem riesigen Holzskelett (Destroyed Church) um die Ruine der Garnisonskirche herum.
Das meistfotografierte Außenkunstwerk war zweifelsohne die Guillotinen-Reihe von Ian Hamilton Finlay, die er in die barocken Achsen der Karlsaue setzte und sie in Blickbeziehungen (A View to the Temple) zur Parkarchitektur brachte. Schönheit und Grausamkeit in dialektischer Verbindung.
Architekten waren in die Ausstellung einbezogen, ihre Konzepte für Museumsbauten darzustellen. Die Modelle und Raumschaffungen der Architekten wurden den Kunstwerken gleich ausgestellt. Die Reaktionen des Publikums und der Kunstkritik darauf waren eher reservierter Natur.
Krieg und Gewalt waren Thema in vielen Kunstwerken. Robert Longo thematisierte seinen Gewaltbegriff mit einer Samurai-Rauminszenierung (All You Zombies – Truth before God) und einer riesigen Schwert-schwingenden Gestalt, die sich bei näherer Betrachtung aus hunderten von kleinen Spielzeugsoldaten zusammensetzte.
Das andere Extrem der 8. documenta war die Inszenierung von Design, auf die Spitze getrieben von Ange Leccia, mit einem dunkelblauen Mercedes 300 CE mitten in der Orangerie auf einer Drehscheibe, wie in einem Autosalon präsentiert.
Hans Haacke wiederum benutzte den Mercedes als Symbol, den Mercedes-Stern, um das Engagement der deutschen Industrie und Banken im damaligen, von der Apartheid geprägten, Südafrika anzuprangern.
Das Erscheinungsbild der documenta 8 war vielfältig und ambivalent, ästhetisch und gleichzeitig provokant – in jedem Fall wurden das Nachdenken und die Diskussion nicht nur zur bildenden Kunst, sondern auch zu gesellschaftlichen Missständen und politischen Themen angeregt und befördert.
Teilnehmende Künstler
Insgesamt nahmen 405 Künstler an der Ausstellung teil.
Zumpfe, Ralf / Schrader, Karin / Thiemann, Carsten: Architekturführer Kassel 1900–1999. Kassel 1997. ISBN 3-87816-087-9
documenta 8 Katalog: Band 1: Aufsätze; Band 2: Katalog; Band 3: Künstlerbuch. Kassel 1987. ISBN 3-925272-13-5
Stehr, Werner / Kirschenmann, Johannes (Hrsg.): Materialien zur documenta 8 – Rote Fäden zu Künstlern, Werken und Betrachtern. Kassel 1987
Kunstforum international, Band 90 Juli–September 1987: documenta 8: Kunst auf dem Prüfstand. Köln 1987
„Die Avantgarde geht in Platos Höhle baden“, in: Der Spiegel, Nr. 23/1987
Kipphoff, Petra: „Das hohe Fest der Beliebigkeit“, in: Die Zeit, Nr. 26, 19. Juni 1987
Kulturamt der Stadt Kassel/documenta Archiv (Hrsg.) / CIS GmbH (Prod.); CD: Documenta 1-9 – Ein Focus auf vier Jahrzehnte Ausstellungsgeschichte / Profiling four decades of exhibition history – 1955–1992. Kassel/Würzburg 1997. ISBN 3-89322-934-5
Großpietsch, Simon: Der Raum der documenta: Eine kunstwissenschaftliche Untersuchung des Szenografischen der politischen und gesellschaftlichen Öffnung der Kunstausstellung am Beispiel der documenta 1987 und 2002. Kassel 2020. ISBN 978-3737608022