Die Verflechtungen zwischen Heiligem Stuhl, Vatikanstadt, Papsttum und römisch-katholischer Kirche sind weitreichend und nicht immer genau auseinanderzuhalten. Im umgangssprachlichen Gebrauch ist mit Vatikan meist der Heilige Stuhl oder dessen Verwaltungsbehörden gemeint.
Die Bezeichnung Stuhl leitet sich von der Kathedra des Bischofs ab, einem seit der Antike überlieferten Symbol der Vollmacht eines öffentlichen Amtsträgers. Der Bischofssitz in Rom wird auf die legendenhafte Gründung einer ersten christlichen Gemeinde durch den Apostel Petrus zurückgeführt, weshalb diesem im gesamten Christentum eine besondere Stellung zukommt (siehe Papstprimat, Pentarchie). In der Alten Kirche wurde die Bezeichnung heiliger Stuhl synonym zu bischöflicher Stuhl für jeden Bischofssitz verwendet, erst später hat sie sich auf den besonders bedeutsamen römischen Bischofsstuhl fokussiert und wird seit dem 19. Jahrhundert nahezu ausschließlich auf diesen bezogen.[2]
Die Bezeichnung „Apostolisch“ deutet auf die Verbindung zu den von Jesus eingesetzten, in seiner Nachfolge stehenden Aposteln. Der Ursprung geht zurück auf das Neue Testament: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen“ (Evangelium nach Matthäus, 16,18 EU). Als apostolischer Stuhl wurden zunächst alle Bischofssitze, die in der direkten apostolischen Nachfolge standen, verstanden. Unter ihnen hatten Alexandrien, Antiochien, Jerusalem und Rom als Patriarchalsitze einen Vorrang.[3] Neben Rom trägt lediglich das Bistum Mainz noch die Bezeichnung Heiliger Stuhl.[4]
Diese Sichtweise wurde später für den römischen Bischofssitz verwendet. Dies hatte zur Folge, dass der Apostolische Stuhl immer mehr mit der Nachfolge Petri und dessen Nachfolgern als Bischöfe von Rom (Sedes Apostolica Romana) verbunden wurde. Im 7. Jahrhundert konzentrierte sich der Begriff ecclesia universalis (universale Kirche) mehr und mehr auf die ecclesia romana (römische Kirche) und begrenzte sich damit auf die abendländische Ausprägung. Seit Papst Damasus I. (366–384) entwickelte sich die Überzeugung, dass nur der Bischof von Rom den Anspruch erheben dürfe, auf dem Heiligen Stuhl von Rom zu sitzen. Mit Papst Siricius (384–399) verfestigte sich die alleinige Titulierung Papst auf die Bezeichnung des Bischofs von Rom. Daraus entstand mit Papst Leo I. dem Großen (440–461) in der Nachfolge der Titel Vicarius Christi, der den Heiligen Stuhl in Rom gleichwertig neben das römische Kaisertum setzte.
Der Heilige Stuhl in Person des Papstes (Identität im Sinne des Kirchenrechts und des Völkerrechts) ist völlig souverän und wird nach verbreiteter Völkerrechtsdoktrin als originäres, nichtstaatliches Völkerrechtssubjekt angesehen. Im Völkerrecht ist dies der derzeit einzige Fall, dass einer natürlichen Person in ihrer amtlichen Eigenschaft kraft ihres Amtes und auf Dauer dieses Amtes Völkerrechtssubjektivität zukommt, die von keinem übergeordneten völkerrechtlichen Rechtssubjekt abgeleitet ist. Damit unterscheidet sich der Papst von einem gewöhnlichen Staatsoberhaupt, der für ein Völkerrechtssubjekt handelt, jedoch selbst kein Völkerrechtssubjekt ist. Der Grund für diese Situation liegt darin, dass mit dem Ende des Kirchenstaates der Heilige Stuhl nicht ohne diesen Status bleiben sollte, und nach der Anerkennung des Vatikans als Rest-Kirchenstaat ist es bei dieser doppelten Völkerrechtssouveränität geblieben.
Aufgrund der eigenständigen traditionellen Völkerrechtspersönlichkeit des Heiligen Stuhls ist seine Völkerrechtsubjektivität strikt von derjenigen des Staates der Vatikanstadt zu unterscheiden,[5] die ihrerseits eigene Völkerrechtspersönlichkeit besitzt und deren Staatsoberhaupt der Papst ist.[6]
Der Heilige Stuhl ist nicht identisch mit der römisch-katholischen Kirche, die ein eigenes Rechtssubjekt darstellt. Die römisch-katholische Kirche selbst ist kein Völkerrechtssubjekt, aber der Papst oder vielmehr der Heilige Stuhl vertritt sie als Oberhaupt nach außen und kann damit ihre Interessen im diplomatischen Verkehr vertreten.
Internationale Anerkennung
Als solches ist der Heilige Stuhl (und nicht etwa der Vatikanstaat) Mitglied oder Beobachter in verschiedenen internationalen Organisationen. Bei den Vereinten Nationen ist der Heilige Stuhl als permanenter Beobachter zugelassen. Mit der Reform der Vereinten Nationen von 2004 haben die Mitgliedstaaten dem Heiligen Stuhl in der UN-Vollversammlung mehr Rechte zugestanden. Er darf bei der Jahresvollversammlung in die Debatte eingreifen, ohne die Erlaubnis anderer Staaten abwarten zu müssen, und hat auch das Recht zu antworten, soweit es um den Heiligen Stuhl geht.
Der Heilige Stuhl besitzt den ältesten diplomatischen Dienst der Welt. In vielen (meist katholischen) Ländern ist deshalb der päpstliche Nuntius der Doyen des Diplomatischen Corps und steht protokollarisch an der ersten Stelle der akkreditierten Botschafter. Der Heilige Stuhl unterhält diplomatische Beziehungen zu 183 Staaten einschließlich der Europäischen Union und des Souveränen Malteserordens (Stand: 2020).[7] Ausländische Diplomaten, die beim Heiligen Stuhl akkreditiert werden sollen und augenscheinlich nicht nach der katholischen Sexualethik leben, können zurückgewiesen werden, so etwa geschiedene[8][9] oder in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft lebende Personen.[10] Ein Botschafter beim Heiligen Stuhl soll nicht gleichzeitig in der Italienischen Republik akkreditiert sein, oftmals residieren jedoch beide in den gleichen Büroräumen.
Am 16. Januar 1982 haben der Heilige Stuhl und das Vereinigte Königreich nach 447 Jahren wieder die vollen diplomatischen Beziehungen aufgenommen. König Heinrich VIII. hatte sich 1535 von der katholischen Kirche losgesagt und die anglikanische Kirche begründet. Am 2. August 1982 wurden die diplomatischen Beziehungen zu Dänemark und den beiden skandinavischen Staaten Norwegen und Schweden nach 400 Jahren wieder aufgenommen. Am 9. Dezember 2009 wurden volle diplomatische Beziehungen mit Russland aufgenommen.[11] Im März 2023 brach Nicaragua die diplomatischen Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl ab, nachdem sich Papst Franziskus negativ über das Ortega-Regierung geäußert hatte. Zuvor hatte die Regierung in Nicaragua bereits mit der Verfolgung von Kirchenleuten Schlagzeilen verursacht.[12]
Vom Heiligen Stuhl wird die Tageszeitung L’Osservatore Romano herausgegeben. Zudem wurde die international agierende Rundfunkstation Radio Vatikan vom Heiligen Stuhl betrieben. Die italienische Namensform La Santa Sede wird von vatican.va, der Website der des Heiligen Stuhls, bevorzugt.
Bild rechts: Allegorie des Papsttums – Petrus als Papst auf dem Heiligen Stuhl sitzend, den Schlüssel und die Bibel (als ikonografische Attribute) in der Hand, die Tiara als Insigne eines Papstes, die andere Hand zum dreifingrigen Segensgestus erhoben (als Stellvertreter Christi).
Friedrich Germelmann: Heiliger Stuhl und Vatikanstaat in der internationalen Gemeinschaft: Völkerrechtliche Praxis und interne Beziehungen. In: Archiv des Völkerrechts. Jg. 47, 2009, S. 147–186, doi:10.1628/000389209788770011.
Heribert Franz Köck: Die völkerrechtliche Stellung des Heiligen Stuhls. Dargestellt an seinen Beziehungen zu Staaten und internationalen Organisationen. Duncker & Humblot, Berlin 1975.
Joël Benoît d’Onorio (Hrsg.): Le Saint-Siège dans les relations internationales. Actes du colloque organisé les 29 et 30 janvier 1988 par le département des sciences juridiques et morales de l'Institut Portalis. Cujas & Cerf, Paris 1989, ISBN 2-204-03106-2 (Collection Éthique et société).
Corrado Pallenberg: Die Finanzen des Vatikans. Verlag Kurt Desch GmbH, München 1968, ISBN 3-423-00928-4.
Andreas Sommeregger: Soft Power und Religion. Der Heilige Stuhl in den internationalen Beziehungen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-531-18421-0.
Tassilo Wanner: Heilige Allianz? Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Heiligen Stuhl. Springer VS Fachmedien, Wiesbaden 2016, ISBN 978-3-658-14970-3.
Jörg Zedler (Hrsg.): Der Heilige Stuhl in den internationalen Beziehungen 1870–1939. Utz, München 2010, ISBN 978-3-8316-4021-8 (= Spreti-Studien. 2).
↑Ralf Leonhard: Streit zwischen Nicaragua und Vatikan: Vom Heiligen Stuhl gefallen. In: Die Tageszeitung: taz. 13. März 2023, ISSN0931-9085 (taz.de [abgerufen am 8. April 2023]).