Jean-Luc Darbellay entstammt einer alteingesessenen Walliser Familie. Die erste urkundliche Erwähnung stammt aus dem Jahr 1330.[1] Er wurde 1946 als Sohn des musikbegeisterten Berner Arztes Pierre Darbellay (1912–1980) und von dessen Frau Rita Lohner (1913–1993) geboren.[1] Seinen ersten Violinunterricht erhielt er im Alter von neun Jahren bei Magda Lavanchy, einer Schülerin des belgischen Geigers Eugène Ysaÿe, an der Berner Musikschule.[1] Auf Grund seines Interesses für Jazz wechselte er im Jahr 1964 zur Klarinette. Zwei Jahre später gab er sein erstes öffentliches Konzert. Nach der Matur an einem humanistischen Gymnasium in Bern entschied er sich, wie sein Bruder und sein Vater zuvor, für ein Medizinstudium, welches er 1966 an der Universität Bern antrat und 1972 mit dem Eidgenössischen Staatsexamen abschloss.[2] 1968 gründete er das Medizinerorchester Bern, in dem er den Klarinettenpart übernahm.[1] Er wurde zum Dr. med. promoviert und arbeitete drei Jahre als Assistenzarzt in einem Krankenhaus in Baden bei Zürich.[1] Neben seinem kompositorischen Schaffen war er von 1980 bis zu seiner Pensionierung 2012 als Allgemeinmediziner in Bern tätig.[3][4][5]
Den kompositorischen Durchbruch schaffte Darbellay mit seinem Konzert für Violoncello und Ensemble (1989), das im Entstehungsjahr vom finnischen Solisten Anssi Karttunen im Maison de Radio France in Paris uraufgeführt wurde.[13] Er arbeitete intensiv mit dem Cellovirtuosen Siegfried Palm zusammen, dem er sieben Stücke widmete. Ihre erste Begegnung ereignete sich bei einem Kurs von György Kurtág in Bern.[14] Kurtág komponierte das Stück Lebenslauf op. 32 (1992) für zwei Bassetthörner und zwei Klaviere, das Darbellay bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik zur Uraufführung brachte.[15] Für Radio Suisse Romande (RSR) und Radio Kanada komponierte er das Streichquartett Ecumes (1996).[16] Anlässlich des 70-jährigen Bauhaus-Jubiläums in Dessau schuf er für den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) das Werk Ein Garten für Orpheus (1996) für Horn, Bassetthorn und Streicher mit Bezügen zu Paul Klee.[17] Ausserdem brachte das Schweizer Nouvel Ensemble Contemporain (NEC) seine Werke Chandigarh (1996) für 17 Instrumente und Mégalithe – Lutèce (2001) für Horn und Ensemble zur Uraufführung.[17][18]
Unter der Leitung des italienischen Dirigenten Fabio Luisi wurde das Auftragswerk des Westschweizer Radios Oyama (1999) für grosses Orchester vom Orchestre de la Suisse Romande im Jahr 2000 uraufgeführt.[19] Das Programm wurde live vom Westschweizer Fernsehen (TSR) übertragen. Später folgten Aufführungen in Weimar und im Leipziger Gewandhaus mit dem MDR-Sinfonieorchester unter Fabio Luisi.[20] Abermals kam es zu Übertragungen, diesmal bei France Musique. Darüber hinaus wurde das Stück der Tribune internationale des compositeurs des Internationalen Musikrates der UNESCO in Paris vorgestellt sowie in Hongkong und Kiew dargeboten. Selbiger Dirigent dirigierte auch sein wichtigstes Werk, Requiem (2005) für Soli, Chor und Orchester.[21][22] 2007 wurde Echos (2007) für Horn und grosses Orchester während des Festivals Présences von Radio France uraufgeführt.[23] Darbellays Klarinettenkonzert Zéphyr (2008) wurde u. a. durch den Solisten Stephan Siegenthaler im Rudolfinum in Prag uraufgeführt.[23] 2010 und 2011 folgten die Uraufführungen von Dernière lettre à Théo (2010) für Bariton und Orchester durch das Orchestre de la Suisse Romande und Cosmos (2011) für Perkussion und Orchester durch das Orchestre de Chambre de Lausanne.[24]
Er ist seit 1971 mit der aus Schnottwil stammenden Laborantin und Klarinettistin Elsbeth Darbellay-Fahrer verheiratet.[4] Sie haben zwei gemeinsame Kinder, den Hornisten Olivier Darbellay (* 1974) und die Violinistin Noëlle-Anne Darbellay (* 1980).[4]
Jean-Luc Darbellay gehört neben Heinz Holliger, Thüring Bräm und Laurent Mettraux zu den einflussreichsten zeitgenössischen Komponisten der Schweiz.[33] Er wurde zunächst durch die Werke von Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven und Franz Schubert geprägt.[6] Einen starken Einfluss übten auf ihn später Claude Debussy und Olivier Messiaen sowie Igor Strawinski und Anton Webern aus.[6] Der Musiktheoretiker Theo Hirsbrunner machte ihn über das Klavierwerk von Webern mit der Dodekaphonie vertraut.[28] Wie auch andere Berner Komponisten orientiert er sich an Sándor Veress und Pierre Boulez.[34] Der Musikjournalist Stephan Thomas formulierte: «[…] Cristóbal Halffters Vorstellung eines musikalischen Kontinuums verbindet sich […] mit aserbaidschanischen Arabesken aus dem Einflussbereich Edison Denisovs, serielle 12-Ton-Elemente aus der Denkfabrik Boulez […] spielen eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit den Pedaltonstudien Terzakis’ […]».[21] Inspiration gewinnt Darbellay darüber hinaus durch die bildende Kunst, beispielsweise durch Paul Klees Werke Sozusagen und Ein Garten für Orpheus.[35] In letzterem Werk verwendet er seine typische polyphon geführte Satztechnik, die Mikropolyphonie.[6] In vielen seiner Kompositionen hat das Bassetthorn (Espaces und Chant d’adieux) sowie das Naturhorn (Appels und Signal) und Waldhorn (Azur und Echos) eine wichtige Bedeutung.[36]
Auszeichnungen
1995: Prix Radio Suisse Internationale für die CD Nova & Antiqua
2019: Nominierung des Orchesterwerks Anges – L’univers mystérieux de Paul Klee für den Coup de Coeur des Jeunes Mélomanes der Fondation Prince Pierre de Monaco[39]
Des gangsters en pullman philharmonique. In: Dissonanz. 105, 2009, S. 23–24.
Edison Denisov, professeur et «rassembleur». In: Ekaterina Kouprovskaia-Bruggeman (Hrsg.): Edison Denisov, compositeur de la lumière. Publication Cdmc, Paris 2011, ISBN 978-2-916738-05-5, S. 29 f.
Leben im Garten für Orpheus Paul Klees geheimnisvolles Universum seiner Jugendzeit. In: Zwitscher-Maschine. 3, 2017, S. 3–11.
Literatur
Monographie
Annie Thiessoz Reynard: Jean-Luc Darbellay, compositeur. Eléments biographiques et Liste des œuvres conservées à la Médiathèque Valais. Médiathèque Valais, Sion 2011 (Zusammenarbeit mit Jean-Louis Matthey; Vorwort von Jacques Cordonier und Damian Elsig; Beiträge von Pierre Albert Castanet und Christoph Sramek).
Sammelbände
Darbellay, Jean-Luc. In: Peter Hollfelder: Klaviermusik. Internationales chronologisches Lexikon. Geschichte. Komponisten. Werke. Supplement, Noetzel, Wilhelmshaven 2005, ISBN 3-7959-0855-8, S. 59.
Jean-Luc Darbellay. In: Thomas Grass, Dietrich Demus: Das Bassetthorn. Seine Entwicklung und seine Musik. 2. Auflage, Books on Demand, Norderstedt 2004, ISBN 3-8311-4411-7, S. 111.
Darbellay, Jean-Luc. In: Axel Schniederjürgen (Hrsg.): Kürschners Musiker-Handbuch. 5. Auflage, Saur Verlag, München 2006, ISBN 3-598-24212-3, S. 79.
Darbellay, Jean Luc. In: Europa Publications (Hrsg.): International Who’s Who in Classical Music 2012. 28. Auflage, Routledge, London 2012, ISBN 978-1-85743-644-0, S. 202.
Artikel
Philippe Savoy: Jean Luc Darbellay. La souplesse des lignes. In: Schweizer Musikzeitung. 5, 2002, 9, S. 5–8.
Stephan Thomas: «Ein vermittelnder Charakter». Annäherung an den Komponisten Jean-Luc Darbellay. In: Schweizer Musikzeitung. 9, 2006, 6, S. 18–22.
Jean-Louis Matthey: Rassembler toute la production de Darbellay. In: Schweizer Musikzeitung. 10, 2010, 6, S. 6–7.
Guy Krneta: Jean-Luc Darbellay: Komponist. In: Dissonance. 136, 2016, S. 33.
Eva Oertle: Jean-Luc Darbellay, Komponist und Arzt. Musik für einen Gast: Radio SRF 2 Kultur, 10. Dezember 2017 (64:01 min) online.
Pietro Maroni: 3-teilige Portraitsendung zu Jean-Luc Darbellay. Spezialprogramm: Radio Stadtfilter, 11. Februar (2:38:02 min) / 18. Februar (2:04:29 min) / 25. Februar 2018 (1:58:15 min) online (Memento vom 1. März 2018 im Internet Archive).
↑ abcBiographie von Jean-Luc Darbellay bei Musinfo.
↑Der Komponist. In: Berner Zeitung, 26. Juni 2008, S. 37.
↑Rovner: An Interview with Jean-Luc Darbellay. 2001, S. 2.
↑Bálint András Varga: György Kurtág. Three Interviews and Ligeti Homages. University of Rochester Press, Rochester 2009, ISBN 978-1-58046-328-7, S. 136 f.
↑Thiessoz Reynard: Jean-Luc Darbellay, compositeur. 2011, S. 46.
↑ abThiessoz Reynard: Jean-Luc Darbellay, compositeur. 2011, S. 47.
↑Thiessoz Reynard: Jean-Luc Darbellay, compositeur. 2011, S. 51.
↑Thiessoz Reynard: Jean-Luc Darbellay, compositeur. 2011, S. 50.
↑Roland Mischke, Rolf Hosfeld: Kulturverführer Leipzig und Umgebung. Mit Chemnitz, Halle, Wittenberg. Helmut Metz Verlag, Hamburg 2004, ISBN 3-937742-01-8, S. 41.
↑ abStephan Thomas: «Ein vermittelnder Charakter». Annäherung an den Komponisten Jean-Luc Darbellay. S. 18.
↑Thiessoz Reynard: Jean-Luc Darbellay, compositeur. 2011, S. 54.
↑ abThiessoz Reynard: Jean-Luc Darbellay, compositeur. 2011, S. 57.
↑Thiessoz Reynard: Jean-Luc Darbellay, compositeur. 2011, S. 59.
↑Jean-Luc Darbellay beim Bühnen- und Musikverlag Ricordi.
↑Werke. In: oeuvressuisses.ch. Abgerufen am 18. Februar 2018.
↑Pressemappe (Memento vom 22. April 2016 im Internet Archive; PDF; 2,6 MB) zur Hinterlegung der Werke des Komponisten und Musikers Jean-Luc Darbellay bei der Médiathèque Valais am 13. September 2011.
↑Maria Künzli: Klassik-Festival L’art pour l’Aar. «Sleeping beauty» am Wasser. In: Berner Zeitung. 18. Januar 2007, S. 33.
↑Heidy Mumenthaler: Spannend, originell und fliessend. In: Berner Zeitung. 6. Mai 2009, S. 26.
↑Berner Komponist. Reizvolle Klangfarbenspiele Jean-Luc Darbellay: Portrait. In: Berner Zeitung. 23. August 2012, S. 28.