Lars Eidinger wurde als Sohn einer Kinderkrankenschwester und eines Ingenieurs in West-Berlin geboren, wo er mit einem Bruder in Berlin-Marienfelde aufwuchs[4] und dort die Gustav-Heinemann-Oberschule besuchte.[2] Bereits als Kind hegte er den Wunsch, Schauspieler zu werden. Er spielte als Zehnjähriger Bibi-Blocksberg-Hörspiele nach, während er in den 1980er Jahren erste professionelle Erfahrungen als Kinderdarsteller der SFB-Jugendsendung Moskito sammelte.[5] In der Oberschule tat er sich im Sport und in der Theater-AG hervor, wo er mit Erfolg in Aufführungen von Woyzeck und Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui auftrat[6] („Ich wollte immer der Erste, immer der Beste sein … Ich war trotzdem auch immer der Clown, der, der die Lacher haben wollte. Erst dann war ich glücklich.“).[4]
Lars Eidinger ist mit der Opernsängerin Ulrike Eidinger verheiratet. Das Ehepaar hat eine Tochter.[5] Er lebt mit seiner Familie in Berlin-Charlottenburg.[4]
Im Jahr 2000 stieß Eidinger zum Ensemble der Berliner Schaubühne, nachdem er ein Jahr zuvor bei Vorsprechen als Franz Moor aus SchillersDie Räuber überzeugt hatte.[10] Er debütierte mit einer Hauptrolle in Das Kontingent von Soeren Voima (2000) an der Schaubühne. Obwohl er als Schauspieler zu Anfang von Regisseur Thomas Ostermeier ignoriert wurde und aufgrund von vertraglichen Verpflichtungen angebotene Filmrollen ablehnen musste,[4] sollte Eidinger in den folgenden Jahren zu einem der prägendsten Darsteller der Schaubühne avancieren.[5][6]
Eidinger übernahm in dieser Zeit Rollen in fast allen Inszenierungen von Thomas Ostermeier und Christina Paulhofer. Lob seitens der Kritiker brachte ihm unter anderem die Rolle des bisexuellen und AIDS-kranken Doktor Rank in IbsensNora (2002 und 2004), sein Nacktauftritt als zynischer Hippolytos in Sarah KanesPhaidras Liebe (2003) neben Corinna Harfouch und die männliche Titelrolle in William ShakespearesTroilus und Cressida (2005) ein. Im Herbst 2005 spielte er in Ibsens Hedda Gabler die Rolle des willenlosen und nervösen Wissenschaftlers Jörgen Tesmann neben Katharina Schüttler und erregte ein Jahr später Aufsehen durch einen lasziven Striptease in den Anfangsszenen von Thomas Ostermeiers und Constanza Macras’ Shakespeare-Adaption Ein Sommernachtstraum (2006). Es folgte die Titelrolle in Marius von MayenburgsDer Häßliche (2007). 2008 war Eidinger als Hamlet (2008) unter der Regie von Thomas Ostermeier zu sehen, den er als Breakdancer bei Gastspielen auf dem Hellenic Festival in Athen, in Avignon, Australien und an der Schaubühne interpretierte.
Anfang Dezember 2008 gab Eidinger sein Debüt als Theaterregisseur im Schaubühnenstudio, wo er mit Studierenden der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Schillers Die Räuber inszenierte, wofür er eine Einladung für das Theaterfestival Radikal jung erhielt. Die Reaktion der Kritiker war unterschiedlich. Während die einen Eidinger eine „sehenswerte, lebhafte Inszenierung“ attestierten, der aber am Ende klarer Gedanke und Ordnungssinn fehlen würde,[11] sahen andere „eine grundernste, kluge und nur an der Oberfläche poppige Schiller-Studie“.[12] Der Schauspieler selbst sieht sich bei der Arbeit als Marionettenspieler. „Ich will immer im Bewusstsein spielen, dass ich eine Figur in der Hand habe, die ich bewege“, so Eidinger,[5] der in Interviews und in dem 2011 erschienenen Buch (EIDINGER) auch eigene Versagensängste thematisierte: „Wenn ich spiele, dann fühle ich mich schutzlos gegenüber den Menschen, die mir zuschauen. Natürlich habe ich auch Angst. Angst zu versagen, Angst, nicht zu gefallen. Aber neben dieser Angst gibt es dann auch die Lust, sich zu offenbaren, sich zu zeigen. Es gibt diese extreme Spanne zwischen Versagensängsten und Allmachtsfantasien. Wenn es gut läuft, scheint plötzlich alles möglich, es ist wie im Rausch. Ich denke dann, dass ich der größte Schauspieler der Welt bin.“[4]
Im Jahr 2009 gab er in Benedict Andrews’ Inszenierung von Tennessee Williams’ Drama Endstation Sehnsucht mit Erfolg den Stanley Kowalski, und der Tagesspiegel hob sein Talent hervor, „die Makel einer Figur zuzulassen, ohne sich fürs Publikum von ihnen zu distanzieren“.[12] Thomas Ostermeier bescheinigte ihm „Selbstbewusstsein und die komplette Abwesenheit von Angst, peinlich oder unglaubwürdig rüberzukommen“. Eidinger sucht bei der Arbeit laut eigenen Angaben auch den Punkt, an dem er die Kontrolle über sich verliere. „Die Momente, in denen eine physische Anstrengung das Gefühl auslöst, dass alles von selbst passiert, genieße ich total“, so Eidinger. Die Berliner Morgenpost betitelte ihn 2011 in einem Porträt als „Experten fürs Maßlose“.[13]
Eidinger arbeitete 2011 im Rahmen des von der Schaubühne organisierten Festivals Internationale Neue Dramatik (F.I.N.D.) mit dem argentinischen Regisseur Rodrigo García an dessen Text Soll mir lieber Goya den Schlaf rauben als irgendein Arschloch zusammen. Der Monolog handelt von einem Vater, der seinen beiden Söhnen elaborierte Antworten auf seine Wünsche in den Mund legt.[14]
Im August 2011 debütierte Lars Eidinger in der Rolle des Angelo in Shakespeares Maß für Maß im Rahmen der Salzburger Festspiele im Landestheater Salzburg. Die FAZ schrieb: „als Angelo selbst, den der großartige Lars Eidinger weniger als widerwärtigen Lüstling denn als getriebenen Behördenchef gibt“.[15] 2013 inszenierte Eidinger an der Schaubühne Romeo und Julia von William Shakespeare.
Als „Theaterereignis mit Ansage“ bezeichnete die Presse 2015 Eidingers Auftritt als Richard III.[16] Wie zuvor bereits Hedda Gabler und Hamlet hatte Thomas Ostermeiers Schaubühnen-Inszenierung seitdem zahlreiche internationale Gastspiele.[17]
Film und Fernsehen
Parallel zu seiner Theaterkarriere arbeitete Eidinger zunächst eher sporadisch für Film und Fernsehen. 2003 absolvierte er jeweils einen Gastauftritt in den Serien Schloss Einstein und Berlin, Berlin, woraufhin größere Rollen in den Kurzfilmprojekten Ketchup Connection (2005) und Deutschland deine Lieder (2007) folgten. Sein Spielfilmdebüt gab er 2007 mit einer Nebenrolle in Stephan Geenes Drama After Effect. Nach weiteren kleinen Rollen im deutschen Fernsehen (Der Dicke, 2005; Notruf Hafenkante, 2007; Minibar, 2008) und einem Filmauftritt im Helene Hegemanns beim Max-Ophüls-Festival preisgekrönten Drama Torpedo hatte er 2009 seinen Durchbruch als Filmschauspieler.
In Maren Ades Drama Alle anderen spielte er gemeinsam mit Birgit Minichmayr ein junges deutsches Paar, dessen Beziehung während eines gemeinsamen Italien-Urlaubs zu zerbrechen droht, nachdem die Konfrontation mit einem anderen Paar die eigenen Lebensentwürfe und Rollenmuster in Frage gestellt hat. Der Film wurde im Wettbewerb der 59. Internationalen Filmfestspiele von Berlin uraufgeführt, wo er zwei Silberne Bären gewann. Ebenfalls im Jahr 2009 sah man Eidinger an der Seite von Fritzi Haberlandt in der Polizeiruf-110-Episode Die armen Kinder von Schwerin, in der er einen mordverdächtigen Familienvater und Handlanger der Russenmafia spielte, der sich mit dem Diebstahl von Schrott und Kupferrohren seinen Lebensunterhalt verdient.
Der „coole It-Boy seiner Generation“ erschien 2010[18] in der Dokumentarfilmserie Durch die Nacht mit … gemeinsam mit Oda Jaune. Wenige Monate später war Eidinger abermals unter der Regie Thomas Ostermeiers in Lars Noréns Theaterstück Dämonen neben Brigitte Hobmeier, Tilman Strauß und Eva Meckbach zu sehen, das über zwei unterschiedliche Paare berichtet. Der Part des verklemmt-zynischen Muttersöhnchens Frank brachte ihm gemischte Kritiken ein. Während die tageszeitung auf Ähnlichkeiten zur Figur aus Alle anderen hinwies und von einer „unglaubwürdige(n) Kopie dieses Prototyps“ sprach,[19] feierte ihn Die Welt als furiosen Meister des „Partner-ärgere-dich-Terror(s)“.[20] Im selben Jahr übernahm Eidinger größere Fernsehrollen in Stefan Kornatz’ Beziehungsdrama Verhältnisse mit Devid Striesow und Nicolette Krebitz, erneut in der Serie Polizeiruf 110 (Episode: Zapfenstreich) sowie als sanfter und sadistischer Mörder neben Ulrike Folkerts im TatortLudwigshafen(Hauch des Todes). Eine weitere Rolle im Tatort folgte 2012 in der Kieler Folge Borowski und der stille Gast als Postzusteller Kai Korthals, der seine weiblichen Opfer zunächst stalkt und sobald er von seinen Opfern ertappt wird, sie eiskalt ermordet.[21] Diese Folge wurde 2015 mit dem Tatort: Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes fortgesetzt, wo Korthals, der sich diesmal Borowskis Freundin Frieda Jung (Maren Eggert) als Opfer auserkoren hat, schließlich überwältigt werden kann.[22] Im Oktober 2021 wurde mit dem Tatort: Borowski und der gute Mensch ein dritter Fall von dem Frauenmörder Kai Korthals gesendet.[3]
Am 14. Februar 2012 hatte Eidinger im Spielfilm Was bleibt (Regie: Hans-Christian Schmid) im Wettbewerb der Berlinale Premiere. Der Film, in dem er die Hauptrolle als Marko spielt, handelt von einem Familientreffen, bei dem ein Elternpaar und ihre erwachsenen Kinder aufeinander treffen und mit unausgesprochenen Wahrheiten konfrontiert werden.[23]
Eidinger arbeitet wiederholt als Musiker und DJ und veranstaltete an der Schaubühne Partys unter dem Motto Autistic Disco.[6] 2019 gab er an, mit seinen inzwischen zahlreichen Buchungen als DJ mehr Geld zu verdienen als am Theater.[34] Er veröffentlichte 1998 einen Titel auf dem Sublabel Stud!o K7 des Berliner Labels !K7 und war ein Jahr später mit zwei Stücken auf der Kompilation Fragments des Berliner Labels no.nine vertreten. 1999 produzierte Eidinger die Musik zu Ernst-August ZurbornsARTE-Dokumentation Die Mörder des Herrn Müller und war bei Thomas Ostermeiers Schaubühnen-Inszenierungen von Nora, Der Würgeengel und Trauer muss Elektra tragen ebenfalls für die Musik verantwortlich.[35] 2018 gestaltete Eidinger für das NDR Fernsehen eine Folge der Doku-Talkshow Die Geschichte eines Abends … und lud dazu die Schauspielerin Sophia Thomalla, den Politiker Kevin Kühnert, die Schlagersängerin Stefanie Hertel und den Herzchirurgen Michael Hübler ein. Die Sendung war für den Grimme-Preis 2019 nominiert.[36][37] Eidinger arbeitet mit bildenden Künstlern wie John Bock[38] und Juergen Teller zusammen.[39]
2019 hatte Eidinger erstmals eine Einzelausstellung als Fotograf. Unter dem Titel Autistic Disco wurden im Neuen Aachener Kunstverein überwiegend Fotos und Videos gezeigt.[40] Unter dem gleichen Titel kam im folgenden Jahr ein Buch bei Hatje Cantz heraus, der auch 2023 den folgenden Fotoband O Mensch veröffentlichte. Viele der Alltagsbeobachtungen hatte Eidinger zuvor auf seinem Instagram-Account gepostet,[41][42] den er nach über sechs Jahren schließlich löschte. „Der toxische Einfluss dieses Mediums ist so enorm und hat mich so krank gemacht über die Jahre, dass ich die Notbremse gezogen habe.“[43]
Lars Eidinger wirkte 2019 bei vier Musikvideos von Deichkind mit. Als Eröffnungsvideo für die Deichkind-Tour im Februar und März 2020 ließ sich Eidinger als menschlicher Pinsel nackt an ein Stahlseil hängen und in Farbe tauchen, um auf 200 Quadratmetern in Anlehnung an Michelangelos Deckenfresko Die Erschaffung Adams das Bild Die Erschaffung des Lars zu malen. 2021 stand dieses Bild zusammen mit anderen Objekten der Band zur Auktion.[44]
Anfang des Jahres 2020 veröffentlichte Eidinger zusammen mit dem Modedesigner Philipp Bree eine Tasche aus Rindsleder, deren Design an die Gestaltung der Aldi-Plastiktüte von Günter Fruhtrunk angelehnt ist. Die Tasche wurde zum Preis von 550 Euro angeboten.[45] Auf Fotos posierte er damit vor einer Berliner Obdachlosenunterkunft. Dafür wurde er in zahlreichen Medien kritisiert.[46][47] Das Düsseldorfer Obdachlosenmagazin FiftyFifty produzierte in Anspielung auf die Kampagne eine der Plastiktüte von Lidl nachempfundene Tasche, die für Obdachlose kostenlos ausgegeben wird. Die Werbekampagne war an Eidingers Fotos angelehnt.[48]
Schaubühne am Lehniner Platz, Théâtre National de Bretagne, Rennes, Frankreich Israel Festival, Jerusalem, Israel Buenos Aires, Argentinien Santiago de Chile, Chile Biennale di Venezia, Venedig, Italien Barbican Theatre, London, UK
2011
Soll mir lieber Goya den Schlaf rauben als irgendein Arschloch
O Mensch. Fotoband mit begleitenden Haikus von Yoko Tawada, hrsg. von Karsten Heller. Hatje Cantz, Ostfildern 2023, ISBN 978-3-7757-5311-1. Dazu Edition 50 + 2 AP eines sign. und num. C-Prints.
↑Anna Fastabend: Lars Eidinger und Aldi: Muss das weg? In: Die Tageszeitung: taz. 25. Januar 2020, ISSN0931-9085 (taz.de [abgerufen am 13. Februar 2020]).
↑Boris Pofalla: Eidinger und Aldi: Eine Verteidigung. In: DIE WELT. 20. Januar 2020 (welt.de [abgerufen am 13. Februar 2020]).