1984 wechselte Walter-Borjans zur Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen. Seine Tätigkeitsfelder betrafen die Analyse des Strukturwandels und die Haushalts- und Finanzpolitik des Landes. 1990/91 koordinierte er im Auftrag des damaligen Chefs der Staatskanzlei, Wolfgang Clement, den fraktionsübergreifenden Einsatz für Bonn als Bundeshauptstadt. 1991 berief ihn MinisterpräsidentJohannes Rau (SPD) zunächst zum stellvertretenden, und dann bis 1998 zum NRW-Regierungssprecher.
Staatssekretär im Saarland und NRW
Mit dem Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten 1998 von Johannes Rau zu Wolfgang Clement schied Walter-Borjans als Regierungssprecher aus und ging als Staatssekretär der saarländischen Wirtschafts- und Finanzministerin Christiane Krajewski (SPD) nach Saarbrücken (Kabinette der Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine und Reinhard Klimmt).
Nach der Niederlage der SPD bei der saarländischen Landtagswahl 1999 arbeitete Walter-Borjans als freiberuflicher Unternehmensberater in Saarbrücken und Köln, bis ihn der damalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) und Wirtschafts- und Arbeitsminister Harald Schartau (SPD) 2004 als Wirtschafts-Staatssekretär zurück nach Düsseldorf holten. Dieses Engagement endete mit der Niederlage der SPD bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl 2005. Danach arbeitete Walter-Borjans erneut als Unternehmensberater, u. a. für die Wohnungswirtschaft und Institutionen der Weiterbildung.
Dezernent in Köln
Im Mai 2006 wählte der Rat der Stadt Köln Norbert Walter-Borjans zum Wirtschafts- und Liegenschaftsdezernenten (Dezernat III). In diese Zeit fielen namhafte Neuansiedlungen wie die von AMB Generali Deutschland, Microsoft, die Europazentrale des chinesischen Baumaschinenherstellers Sany und die Entscheidung zur Verlagerung der Lanxess-Unternehmenszentrale von Leverkusen nach Köln.[6][7]
Im Mai 2009 übertrug der Kölner Rat Norbert Walter-Borjans zusätzlich das Amt des Stadtkämmerers (Dezernat II). Seine Amtszeit war geprägt von der Umstellung der kommunalen Haushalte von der kameralistischen auf die doppelte Buchführung, der Stärkung der Bürgerbeteiligung bei der Haushaltsaufstellung,[8] vor allem aber der Bewältigung der Finanzkrise mit starken Einbrüchen bei Steuereinnahmen und Wirtschaftskraft. An seinem letzten Arbeitstag als Kölner Kämmerer kündigte Walter-Borjans den umstrittenen Mietvertrag mit dem Oppenheim-Esch-Fonds über die neuen Messehallen aus dem Jahr 2003, nachdem der Europäische Gerichtshof die fehlende Ausschreibung des Projekts moniert hatte.
Bundesweite Aufmerksamkeit erhielt die von Walter-Borjans Ende 2009 initiierte Kulturförderabgabe, die durch einen Aufschlag auf Übernachtungen in Hotels und Pensionen erhoben wird. Die Abgabe wurde unter der Bezeichnung Bettensteuer bzw. Kursteuer heftig diskutiert und vor allem vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) bekämpft, der bei der CDU/CSU/FDP-geführten Bundesregierung gerade erst die Senkung der Mehrwertsteuer für Hotels ab 2010 durchgesetzt hatte.[9] Am 11. Juli 2012 wurde diese Steuer vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig für „teilweise verfassungswidrig“ erklärt. Das Urteil erlangte Rechtskraft.[10]
Finanzminister von Nordrhein-Westfalen
In den Kabinetten von Hannelore Kraft bekleidete Walter-Borjans das Amt des Finanzministers. Er widmete sich den Themen Steuerhinterziehung und Steuergerechtigkeit als Schwerpunkte seiner Arbeit. 2011 sprach er sich als Mitglied des Bundesrates gegen einen von der schwarz-gelben Bundesregierung bereits ratifizierten Entwurf eines bilateralen Steuergesetzes mit der Schweiz aus. Nach seiner Meinung hätte dies einen Freifahrtschein für Steuerhinterzieher bedeutet, da es den Ankauf von Steuer-CDs verhindert hätte. Walter-Borjans setzte gegen allen Widerstand weiterhin auf den Erwerb von Datensätzen mutmaßlicher Steuerbetrüger. „Die Angst vor der Entdeckung ist das wirksamste Instrument gegen Steuerhinterziehung“, lautete sein Credo.[11] Der Bundesrat stimmte am 23. November 2012 gegen das Gesetz. Walter-Borjans begründete vor der Abstimmung als Vertreter Nordrhein-Westfalens die Nichtzustimmung des Bundeslandes.[12]
Im Dezember 2012 plante Walter-Borjans eine Bundesratsinitiative zur Verschärfung von Verjährungsfristen bei Steuerbetrug.[13] Diese Initiative beschloss die nordrhein-westfälische Landesregierung am 23. April 2013, nachdem bei der Zusammenarbeit mit Niedersachsen und Rheinland-Pfalz der Antrag um weitere Maßnahmen ergänzt wurde.[14] Im Vorfeld der Finanzministerkonferenz im Mai 2014 setzte Walter-Borjans sich auch bei Verhandlungen mit den Finanzministern der anderen Parteien für Verschärfungen bei strafbefreienden Selbstanzeigen ein und einigte sich mit seinen Kollegen auf Änderungen der bisherigen Regelungen,[15] die unter dem Vorsitz von Walter-Borjans in der Konferenz beschlossen wurden. BundesfinanzministerWolfgang Schäuble trug den Beschluss mit. Die Verschärfung trat im Januar 2015 in Kraft.[16]
Des Weiteren setzte sich Norbert Walter-Borjans als Finanzminister für eine zunehmende Steuertransparenz und eine Ausweitung der Bürgerfreundlichkeit in der NRW-Finanzverwaltung ein. In verschiedenen Initiativen, etwa einem besser verständlichen Steuerbescheid, sollen Steuerzahler über ihre jeweiligen Steuerbeiträge und über ihren Beitrag zu staatlichen Leistungen informiert werden.
Zur Eindämmung des Steuerbetrugs machte sich Walter-Borjans ebenfalls für die Ausweitung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs stark. In die gleiche Richtung zielten seine Bemühungen zur Einführung manipulationsresistenter Registrierkassen durch eine entsprechende Dokumentations-Software.
Zu den weiteren Eckpfeilern – insbesondere seiner zweiten Amtszeit als Finanzminister nach den Landtagswahlen im Mai 2012 – gehörte die Initiative zur steuerlichen Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften, die erst nach heftigen politischen Debatten und letztlich durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt wurde, sowie das Drängen auf eine Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Für NRW pochte Walter-Borjans auf eine gerechtere und transparentere Verteilung von Steuergeldern im Länderfinanzausgleich, in dem das Land bisher hohe Beiträge einzahlte und trotzdem als „Nehmerland“ galt.
In die Amtszeit von Norbert Walter-Borjans sowohl als Finanzminister als auch als Aufsichtsrat fiel die auf Verlangen der Europäischen Kommission erfolgte Abwicklung der ehemaligen Westdeutschen Landesbank (WestLB), weil deren Eigenkapitalerhöhungen aus NRW-Staatsmitteln und deren NRW-Staatsgarantien dem EU-Beihilferecht widersprachen. Rechtsnachfolgerin der WestLB wurde im Juli 2012 die heutige Portigon. Die ebenfalls aus der Aufspaltung der WestLB hervorgegangene Erste Abwicklungsanstalt (EAA) erhielt die Aufgabe, risikoorientierte Papiere und nicht mehr rentable Arbeitsbereiche abzuwickeln und auf eine Bad Bank zu übertragen. Die Belegschaft der Portigon wurde in der Amtszeit der rot-grünen Landesregierung entsprechend den Abwicklungsstadien von knapp 4.200 im Jahr 2010 auf 1.300 Beschäftigte im Jahr 2015 reduziert.
Walter-Borjans setzte in seiner Amtszeit als Finanzminister zunächst in einer Minderheitsregierung die präventive Sozialpolitik der rot-grünen Landesregierung um, die mit sofortigen Ausgaben die Verringerung späterer Reparaturkosten anstrebte.[17] Der Nachtragshaushalt 2010 und der Haushalt 2011 verstießen wegen zu hoher Schulden gegen die Landesverfassung.[18][19] Der Haushalt 2012 wurde als verfassungswidrig gerügt, weil er zu spät in den Landtag eingebracht wurde und damit die Rechte des Landtags missachtet wurden.[20] Walter-Borjans’ Reform der Beamtenbesoldung, bei der Tarifverbesserungen lediglich für untere Besoldungsgruppen vorgesehen waren und nicht für höhere Besoldungsgruppen, wurde 2014 ebenfalls als verfassungswidrig gerügt.[21] Der Schuldenstand Nordrhein-Westfalens stieg von 123,3 Milliarden Euro am 31. Dezember 2009 auf 174,4 Milliarden Euro am 31. Dezember 2017, eine Steigerung von 41,4 Prozent.[22][23]
Zu Konsolidierungszwecken des Landeshaushalts und zur Senkung der Nettoneuverschuldung sowie der Einhaltung der Schuldenbremse im Jahr 2020 beschloss das NRW-Landeskabinett eine Reihe von Einsparungen. Dazu gehörte auch eine gestaffelte Übertragung des ausgehandelten Tarifergebnisses der Angestellten auf die Beamten des Landes. Nach Protesten und einem Urteil des Landesverfassungsgerichts in Münster insbesondere gegen die vorgesehene zweijährige Nullrunde für die Gehälter von Beamten ab Besoldungsgruppe A 13 vereinbarte die Landesregierung in Gesprächen mit Gewerkschaften eine deutliche Abschwächung der vorgesehenen Einsparungen von 700 Millionen Euro auf 220 Millionen Euro. In den Folgejahren sollte das ursprüngliche Sparziel schrittweise erreicht werden.
Als Finanzminister war Walter-Borjans Mitglied im Beirat der Deutschen Bundesbank-Filiale in Düsseldorf und vertrat das Land Nordrhein-Westfalen in den Aufsichtsräten der NRW Bank, Ruhrkohle AG und Portigon AG (ehemals WestLB). Darüber hinaus war Walter-Borjans Vorsitzender des Finanzausschusses des Bundesrates. Am 1. Dezember 2011 wurde er für das Kalenderjahr 2012 erstmals zum Vorsitzenden der Finanzministerkonferenz gewählt.[24] In den Kalenderjahren 2014[25] und 2016[26] übernahm Walter-Borjans diese Aufgabe erneut.
Norbert Walter-Borjans (l.) und Saskia Esken (r.) bei der SPD Regionalkonferenz zur Wahl des SPD-Vorsitzes am 10. September 2019 in Nieder-OlmWalter-Borjans bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages der Ampelparteien (2021)
Bei der Wahl zum SPD-Vorsitz 2019 kandidierte Walter-Borjans zusammen mit der Bundestagsabgeordneten Saskia Esken. Nominiert wurden sie von der SPD Nordrhein-Westfalen.[27] Beim ersten Wahlgang im Oktober 2019 belegten Esken und Walter-Borjans mit 21,0 Prozent der Stimmen den zweiten Platz hinter Klara Geywitz und Olaf Scholz, die 22,7 Prozent der Stimmen erhielten.[28] Bei der Stichwahl im November 2019 erhielten Esken und Walter-Borjans 53,1 Prozent der Stimmen und Geywitz und Scholz 45,3 Prozent der Stimmen.[29] Auf dem Bundesparteitag am 6. Dezember 2019 wurden Walter-Borjans mit 89,2 Prozent und Esken mit 75,9 Prozent der Delegiertenstimmen zu Bundesvorsitzenden gewählt.[30] Am 29. Oktober 2021 wurde bekannt gegeben, dass er beim SPD-Parteitag im Dezember 2021 nicht mehr für den Parteivorsitz kandidieren werde.[31]
Walter-Borjans forderte im November 2018, Menschen mit unteren sowie mittleren Einkommen durch die Steuerpolitik zu entlasten und Personen mit hohen Einnahmen „ein Stück weit stärker zu belasten“. Im Kampf gegen Steuerbetrug befürwortet er einen besseren gesetzlichen Schutz von Whistleblowern. Zudem warf Walter-Borjans einigen Interessensgruppen wie dem Bund der Steuerzahler Deutschland und der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft vor, dass sie „in Wahrheit die Privilegien von Hochvermögenden sichern wollen“. Er forderte daher „eine wesentlich höhere Grundbildung in steuerpolitischen Fragen“ als „Gegenlobby“.[34]
Im Herbst 2018 empfahl Walter-Borjans zudem, Steuertricks von Internetkonzernen durch die Besteuerung des Umsatzes mit Daten zu verhindern. Deshalb verlangte er die Einführung der Verpflichtung zum Country-by-Country-Reporting und forderte, die Bundesregierung mit dem Finanzminister Olaf Scholz solle „in dieser Frage ihre Haltung ändern“. Im Kampf für mehr Steuergerechtigkeit zeigte die SPD laut Walter-Borjans „aus Angst vor der eigenen Courage zu wenig Haltung“.[35]
Walter-Borjans war ab März 2019 Fellow bei der Bürgerbewegung Finanzwende, die sich unter anderem gegen Finanzkriminalität einsetzt. Mit seiner Wahl als Teil der Doppelspitze zum SPD-Parteivorsitzenden schied er im Januar 2020 als Fellow aus.[36] Nach seinem Ausscheiden aus der SPD-Doppelspitze und einer Übergangszeit ist er seit November 2022 wieder Fellow von Finanzwende.[37]
Walter-Borjans kritisierte im November 2019 die Rüstungspolitik der deutschen Bundesregierung und forderte das Ende von Rüstungsexporten in Gebiete außerhalb von Europa.[38] Hinsichtlich der Fortsetzung der Großen Koalition mit der CDU/CSU wollte Walter-Borjans nach seinem Gewinn der Urwahl unter den SPD-Mitgliedern zunächst den nächsten Parteitag anhand von Sachfragen hierzu abstimmen lassen.[39] Diese Position wurde von Walter-Borjans zusammen mit seiner designierten Co-Vorsitzenden, Saskia Esken, allerdings inzwischen wieder revidiert.[40]
Im Januar 2020 forderte er als SPD-Vorsitzender die Einführung einer Bodenwertzuwachssteuer, damit sollten Besitzer von Grundstücken einmalig einen Teil des theoretischen Wertzuwachses als Steuer abführen. Eine solche Steuer würde anhand des aktuellen Marktwertes des Grundstücks berechnet werden. Kritik löste das vor allem bei CDU und FDP aus, diese kritisierten, dass dadurch die ohnehin schon hohen Mieten weiter steigen würden, da Vermieter die Bodenwertzuwachssteuer auf die Miete umlegen würden.[41]
Walter-Borjans befürwortet die Entkriminalisierung von Cannabis „unter strengen Auflagen und unter strikter Beachtung des Jugendschutzes“.[42]
Er unterzeichnete mit zahlreichen Gewerkschaftern und SPD-Mitgliedern einen u. a. von Peter Brandt initiierten „Friedensappell aus der Mitte der Gesellschaft“, der am 1. April 2023 in einigen Zeitungen veröffentlicht wurde.[43]
Privates
Norbert Walter-Borjans ist verheiratet, hat vier erwachsene Kinder und lebt in Köln-Sülz. Seit 1986 führt er auch den Nachnamen seiner Frau,[1] von der er mittlerweile getrennt lebt. Seine neue Lebensgefährtin ist Ingrid Hentschel.[44] Zu seinen Hobbys gehört die Bildhauerei;[45] er besuchte mehrfach Marmor-Workshops in der Toskana.[46]
Veröffentlichungen
Steuern – Der große Bluff. Der frühere NRW-Finanzminister berichtet von seinem Kampf gegen Steuerhinterziehung und widerlegt die Mythen, die über unser Steuersystem verbreitet werden. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018, ISBN 978-3-462-05176-6.
Literatur
Martin Murrack: Politik für Menschen – der Sozialdemokrat Norbert Walter-Borjans wird 70!, Verlag epubli, Berlin 2022, ISBN 9783756534098
↑Walter, Norbert: Messung der wirtschaftlichen und umweltrelevanten Folgeeffekte des Bundesfernstraßenbaus in strukturschwachen Räumen. Verkehrs-Verlag J. Fischer. 1982.