Otto Karrer (* 30. November1888 in Ballrechten im Breisgau; † 8. Dezember1976 in Luzern) war ein römisch-katholischer Theologe, Ökumeniker, Religionsphilosoph und geistlicher Schriftsteller. Er übersetzte viele Werke von Theologen des Altertums sowie der spirituellen Literatur aller Jahrhunderte und setzte sich mit der zeitgenössischen Dichtung auseinander. Obwohl er nie eine Professur bekleidete, gilt er als einflussreicher Theologe des 20. Jahrhunderts.
Otto Karrer, Sohn eines Bauern, besuchte die örtliche Volksschule und das staatliche Bertholds-, danach das Friedrich-Gymnasium Freiburg. 1908 begann er in Innsbruck das Studium der katholischen Theologie. Im dritten Studienjahr wurde er Novize der Gesellschaft Jesu, zunächst in Tisis (Vorarlberg). Das Philosophiestudium fand an der ordenseigenen Ausbildungsstätte Valkenburg (Holland) statt. Danach lehrte er an der Stella Matutina in Feldkirch, dort war er auch Studienpräfekt. Das Theologiestudium leistete Karrer wiederum in Valkenburg ab. Am 20. Juni 1920 empfing er dort die Priesterweihe. Als Ergänzung seiner Studien hörte er Vorlesungen über mittelalterliche Geschichte in Bonn und über Kunstgeschichte bei Heinrich Wölfflin in München.
Karrer vertiefte sich in die Frühgeschichte des Jesuitenordens und arbeitete vor allem über den dritten Ordensgeneral Franz von Borja. Schon 1921 veröffentlichte er dessen Biographie, die bei führenden Kirchenhistorikern Zustimmung fand, aber vom Ordensgeneral Wladimir Ledochowski kritisiert wurde, weil sie Unterschiede zwischen Ignatius und Franz herausarbeitete.
Ferner arbeitete Karrer an der Gesamtausgabe der Werke von Ignatius von Loyola mit. 1922 wurde er in Valkenburg sowohl zum Doktor der Philosophie wie auch der Theologie promoviert.
Auf Bitten des Präfekten der Vatikanischen Bibliothek, seines Ordensbruders KardinalFranziskus Ehrle wurde er nach Rom geschickt – er sollte seine Ausbildung vervollständigen, um dann die Nachfolge von Bernhard Duhr SJ als Ordenshistoriker antreten zu können.
Allerdings wandte Karrer sich innerhalb weniger Wochen enttäuscht von der lutherischen Kirche ab und trat wiederum in die römisch-katholische Kirche ein. Einer Wiederaufnahme in den Jesuitenorden standen die Ordenskonstitutionen entgegen. Karrers ehemaliger NovizenmeisterPaul de Chastonay, der ihm stets gewogen blieb, vermittelte seine Aufnahme in den Klerus des Bistums Chur. Die priesterlichen Funktionen durfte er aber erst nach Exerzitien im Kloster der Immenseer Missionare in Wolhusen wieder ausüben. Einer Lehrtätigkeit an einer (katholischen) Hochschule oder Universität, wozu Karrer nach seiner Vorbildung ohne weiteres fähig gewesen wäre, stand seine „Vergangenheit“ im Wege. Er ließ sich deshalb als Schriftsteller erst in Weggis, dann (1928) in Luzern nieder, wo er bis zu seinem Tode lebte, und wirkte als Seelsorger an der dortigen Pauluskirche. Seine wirtschaftliche Situation blieb stets prekär. 1935 wurde er in die Schweiz eingebürgert.[2]
Sein hauptsächliches Arbeitsgebiet wurden nun die Ausgaben von Werken bzw. Briefen von Meister Eckhart, Franz von Sales, John Henry Newman und anderen. Eine große Textgeschichte der Mystik und seine Mitarbeit an der Zeitschrift Hochland machten seinen Namen weithin bekannt.
1942 wurde die kleine Schrift Karrers Gebet, Vorsehung, Wunder. Ein Gespräch auf den Index librorum prohibitorum gesetzt (und ihm selbst für ein Jahr das Recht zur Predigt entzogen), aber nach einem persönlichen Gespräch mit dem zuständigen Bücherzensor Msgr. Vigilio Dialpaz in Rom freigegeben; aufgrund der Zeitumstände war aber keine Neuauflage möglich.
Während des Zweiten Weltkriegs half er von der Schweiz aus vielen Flüchtlingen aus Deutschland und dessen Einflussgebieten. Sein Briefwechsel, u. a. mit Waldemar Gurian, belegt dies.[4] Insbesondere konnten durch seine Vermittlung Gurian und Otto M. Knab 1934–1938 in Luzern die Deutschen Briefe herausgeben, ein Informationsblatt über Kirchenkampf und Kirchenverfolgung des Nationalsozialismus. Die kleine Schrift Schicksal und Würde des Menschen diente ausdrücklich der Auseinandersetzung mit dem Menschenbild des Nationalsozialismus.
Schon in der Nachkriegszeit (1945) und dann verstärkt während des II. Vatikanischen Konzils (an dem er auf der Pressetribüne teilnahm) gründete er ökumenische Gesprächskreise, deren Ergebnisse er in einer ökumenischen Schriftreihe veröffentlichte. Zu seinen Gesprächspartnern gehörte der reformierte Theologe Oskar Cullmann. Bischof Christianus Caminada nahm ihn gegen kritische Nachrede in Schutz. Auch Karrers Übersetzung des Neuen Testaments wurde ökumenisch bedeutsam: „Als glückliches Zeichen erschien es mir, daß auch evangelische Theologen mit manchen Hinweisen halfen,“ schrieb er in einem Lebensrückblick.[5] Bei den Salzburger Hochschulwochen hielt Karrer Vorträge und Kurse.
Erst am 19. Juli 1963 wurde Karrer durch KardinalAlfredo Ottaviani rehabilitiert und erhielt alle priesterlichen Rechte ohne Einschränkung wieder. Vatikanische Behörden nennen ihn bald „einen unserer geschätztesten Mitarbeiter“.[6] Der damalige General des Jesuitenordens, Pedro Arrupe, machte Karrer 1967 das Angebot, ohne juristische Formalitäten wieder dem Orden anzugehören, was dieser froh annahm.
1958 erhielt er das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland und 1965 den Innerschweizer Kulturpreis „für sein Gesamtwerk als Schriftsteller, Übersetzer und Herausgeber und für sein Wirken im Dienst der Verständigung unter den christlichen Konfessionen“. 1967 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Universität Tübingen verliehen.
Am 8. Dezember 1976 starb Otto Karrer in Luzern nach längerer Krankheit.
Gedenken
Seit 2002 führt die Theologische Fakultät der Universität Luzern das Anliegen der (aufgelösten) Otto-Karrer-Gesellschaft weiter und veranstaltet jährlich eine Otto-Karrer-Vorlesung, die von bekannten Persönlichkeiten gehalten wird.[7]
In Ballrechten ist eine Straße nach Otto Karrer benannt.
Schriften
Der heilige Franz von Borja: General der Gesellschaft Jesu, 1510-1572. Freiburg 1921
Des. hl. Ignatius von Loyola geistliche Briefe und Unterweisungen. Freiburg 1922
Franz von Sales, Wege zu Gott. Gesammelte Texte. München 1923
Meister Eckehart spricht. Gesammelte Texte. München 1925
Augustinus: Das religiöse Leben. Gesammelte Texte. 2 Bde., München 1925
Meister Eckhart. Das System seiner religiösen Lehre und Lebensweisheit, München, 1926
Die große Glut. Textgeschichte der Mystik. 3 Bände, München 1926/27
Liturgisches Gebetbuch aus den ersten christlichen Jahrhunderten. München 1928
Das Religiöse in der Menschheit und das Christentum. Freiburg 1934
Urchristliche Zeugen, Das Urchristentum nach den außerbiblischen Dokumenten bis 150 n. Chr. 1937
Schicksal und Würde des Menschen. Einsiedeln 1940
Gebet, Vorsehung, Wunder. Ein Gespräch. Luzern 1941
Genügt die Schrift allein? 1944
Jahrbuch der Seele. Aus der Weisheit der christlichen Jahrhunderte. München 1951
Das Neue Testament. Bibelübersetzung, München 1950, verbessert 1954, 1959
Viktor Conzemius: Art. Otto Karrer, in: LThK3, Bd. 5, Sp. 1265.
Viktor Conzemius: Otto Karrer – Theologe des Aggiornamento 1888–1976; Gedenkschrift zum 100. Geburtstag. NZN-Verlag, Zürich 1989. ISBN 3-85827-086-5
Viktor Conzemius: Gottes Spurensucher: zwanzig christliche Profile der Neuzeit. Herder, Freiburg 2002. (zu Karrer: S. 265–280) ISBN 3-451-27897-9
Liselotte Höfer, Viktor Conzemius: Otto Karrer, Kämpfen und Leiden für eine weltoffene Kirche. Herder, Freiburg im Breisgau 1985. (mit ausführlicher Bibliographie) ISBN 3-451-20495-9
Jean-Louis Leuba, Heinrich Stirnimann (Hg.): Freiheit in der Begegnung. Zwischenbilanz des ökumenischen Dialogs. Otto Karrer zum 80. Geburtstag. Knecht, Frankfurt 1969.
Maximilian Roesle, Oscar Cullmann (Hg.): Begegnung der Christen. Otto Karrer zum 70. Geburtstag. Evangelisches Verlagswerk, Stuttgart 1959 (mit ausführlicher Bibliographie S. 25–36).
Bernd Marz: Grenzgänger des Glaubens. Gespräche und Portraits. Echter, Würzburg 1995. (S. 159–172) ISBN 3-429-01673-8