Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Zu weiteren Bedeutungen siehe Putsch (Begriffsklärung).
Ein Putsch oder Staatsstreich (oft französischcoup d’état [ˌkudeˈta]) ist eine illegale, meist gewaltsame und überraschende Aktion von Angehörigen des Militärs oder paramilitärischer Organisationen und/oder einer Gruppe von Politikern mit dem Ziel, die Macht im Staat zu übernehmen oder für sich zu erhalten.
Das Wort Putsch wird zumeist nur für eine erfolgreiche Militärrevolte benutzt. Ihr folgt in der Regel eine Militärdiktatur oder die Herrschaft eines autoritären Regimes. Nach einem Fehlschlag ist meist von einem Putschversuch oder Revolte die Rede. Da das Wort Putsch negativ konnotiert ist, verwenden Putschisten selbst in der Regel euphemistische Bezeichnungen für ihre Handlungen.[1] Bekannte Beispiele sind die Militärputsche in Chile 1973 oder in Griechenland 1967. Einer der seltenen Fälle, in denen ein Militärcoup eine Demokratisierung zur Folge hatte, war die Nelkenrevolution in Portugal 1974.
Das Antonym zu Putsch und Staatsstreich ist Revolution, die nicht nur von einer kleinen Gruppe, sondern von relevanten Teilen des Volkes getragen wird nicht nur einen Regimewechsel, sondern einen tiefgreifenderen Wandel zur Folge hat.
Ursprünglich stammt der Begriff aus der Schweiz, wo das schweizerdeutsche Dialektwort Putsch eigentlich ‚Stoß‘, ‚Zusammenstoß‘ bedeutet. Schon im 16. Jahrhundert wurde es auch im übertragenen Sinn militärisch für einen plötzlichen Vorstoß, den Aufprall gegen ein Hindernis oder die Initiative zu einem Unternehmen verwendet und erhielt schließlich auch die speziellere Bedeutung ‚Volksauflauf‘, ‚Revolte‘.[6] Im 19. Jahrhundert wurde das Wort im letztgenannten Sinn für verschiedene regionale und kantonale Umstürze und Unruhen wie den Freiämter Putsch (1830), den Züriputsch (1839), den Neuenburger Putsch (1856) oder den Tessiner Putsch (1890) gebraucht.[6] Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts verbreitete sich das Wort dann im gesamten deutschen Sprachraum, insbesondere befördert durch Zeitungsberichte über den reaktionären Züriputsch in Zürich (1839).
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Begriff auch ins Englische[7] sowie ins Französische[8] entlehnt, wobei er hier zunächst nur als Terminus technicus in Zusammenhang mit den politischen Wirren der Zwischenkriegszeit in Deutschland und Österreich begegnet (Kapp-Putsch 1920, Hitlerputsch 1923, Juliputsch 1934), in der allgemeineren Bedeutung „Umsturzversuch [gleich wo]“ erst seit etwa 1950.[9] Spätestens seit dem so genannten Putsch d’Alger (1958) ist er im politischen Diskurs Frankreichs fest verankert.
Putsch und Staatsstreich
Darüber, ob und inwiefern sich die Begriffe Putsch und Staatsstreich unterscheiden, besteht keine Einigkeit. Oft wird der Unterschied darin gesehen, dass bei einem Putsch der gewaltsame Sturz der Regierung von außen versucht wird (etwa vom Militär), während an einem Staatsstreich ein oder mehrere Mitglieder der aktuellen Regierung beteiligt sind. Der Begriff Staatsstreich orientiert sich dabei am Staatsstreich des 18. Brumaire VIII, d. h. der Machtübernahme Napoleons in Frankreich 1799.
Der Duden gibt bei Putsch als Bedeutung an: „von einer kleineren Gruppe [von Militärs] durchgeführter Umsturz[versuch] zur Übernahme der Staatsgewalt“.[10] Bei Staatsstreich lautet die Bedeutungsangabe dagegen: „gewaltsamer Umsturz durch etablierte Träger hoher staatlicher Funktionen“.[11]Coup d’État wird als (weitgehend) gleichbedeutend mit Staatsstreich behandelt.[12]
Der Brockhaus vermerkt ergänzend, dass ein Staatsstreich ein planmäßig gegen die Verfassung gerichteter Umsturz bzw. Umsturzversuch sei. Meyers Konversations-Lexikon nennt Verfassungswidrigkeit als besonderes Merkmal eines Staatsstreichs. Einen Putsch hingegen beschreiben beide weniger spezifisch, das Merkmal eines gegen die Verfassung gerichteten Umsturzplanes muss dafür nicht notwendig erfüllt sein.
Auch das Politiklexikon sieht den Unterschied darin, dass die Akteure eines Staatsstreiches bereits an der Macht beteiligt seien. Als Antonym zu Staatsstreich nennt es Putsch.[13]
Nach Walter TheimersLexikon der Politik wird ein Staatsstreich „insbesondere vom Militär oder Teilen davon“ durchgeführt. Der Unterschied bestehe darin, dass die Putschisten „subalterne Offiziersgruppen“ oder andere eher machtlose Gruppen seien; Voraussetzung für die Durchführung eines Staatsstreichs sei dagegen eine hohe Machtstellung der Akteure, die – wie bei der Absetzung Mussolinis durch König Viktor Emanuel III. 1943 – sogar Staatsoberhäupter sein könnten. Das Antonym von Staatsstreich sei Revolution.[14]
Das Wörterbuch zur Geschichte definiert Putsch als Sonderform des Staatsstreichs: Er sei ein „Staatsstreich von unten durch eine kleinere Gruppe“.[15]
Andere Autoren behandeln die Begriffe als mehr oder weniger gleichbedeutend:
Der Kriminologe Wolf Middendorf sieht keinen wesentlichen Bedeutungsunterschied, allenfalls gehörten Putschisten oft niedrigeren militärischen Rängen an.[16]
Das Wortschatzlexikon der Universität Leipzig bezeichnet beide Begriffe als synonym.[17]
Streitkräfte haben häufig Traditionen und Organisationsstrukturen, die älter sind als das Regime, dessen Existenz zu sichern ihre Aufgabe ist. Die Zusammensetzung des Offizierskorps kann dabei eine Rolle spielen, die Größe der Armee, eine Tradition von vorangegangenen Militärputschen, Niederlagen in Kriegen oder nationale Krisen, deren Bewältigung einer zivilen Regierung nicht zugetraut wird. Das kann dazu führen, dass zivile Regierungen entweder von Militärs in Putschen direkt beseitigt, oder aber vom Militär ihren inneren Feinden ausgeliefert werden.
Häufiger als der direkte Putsch mit dem Sturz der Regierung ist die legalisierte Auflehnung, bei der das Militär seine umfangreichen Machtbefugnisse nutzt, um direkten Einfluss auf politische Regierungsentscheidungen zu nehmen. In der Türkei, Thailand, Chile und in Burma hatte sich das Militär nach Militärputschen auch für die Zeit nach der Rückgabe der Macht an die Zivilisten derartige Einflussmöglichkeiten gesichert. Parlamentssitze und andere institutionalisierte Einflussmöglichkeiten sichern dem Militär einen Einfluss an der politischen Macht, ohne dass eine direkte Gewaltandrohung ausgesprochen werden muss.
Eine Sonderform des Putsches ist die Palastrevolution. Sie bezeichnet keine Revolution, sondern einen Sturz von Herrschern oder Staatsmännern,[19] der nicht durch Volksaufstände oder Erhebungen der Bevölkerung, sondern durch Intrigen im Umfeld der jeweiligen Herrscher herbeigeführt wird.[20] Umgangssprachlich wird auch die Auflehnung gegen Vorgesetzte in Firmen und Organisationen als Palastrevolution bezeichnet.[21][22] Beispiele sind die Russischen Palastrevolutionen.
Selbstputsch
Als Selbstputsch (spanisch Autogolpe) wird ein Staatsstreich bezeichnet, bei welchem ein demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt oder Regierungschef mithilfe des Militärs oder unverfassungsgemäßer Methoden das Parlament und/oder das Verfassungsgericht ausschaltet, um diktatorische Macht zu erlangen. Als bekanntestes Beispiel dieses Selbstputsches gilt der Autogolpe von Perus Präsidenten Alberto Fujimori im April 1992.[23] In Guatemala versuchte 1993 Jorge Antonio Serrano Elias nach dem Vorbild Fujimoris die Macht an sich zu reißen, wurde aber nach massiven Protesten entmachtet.[24] Ein weiterer, aber erfolgloser Selbstputsch in Peru wurde im Dezember 2022 von Pedro Castillo durchgeführt, welcher infolgedessen des Amtes enthoben wurde.[25]
Putsche in der Geschichte
Obwohl das Wort Putsch international erst seit dem „Züriputsch“ in Gebrauch ist, können Staatsstreiche in davorliegenden Zeiten ebenso bezeichnet werden.
↑David Pion-Berlin, Thomas Bruneau, Richard B. Goetze: The Trump Self-Coup Attempt: Comparisons and Civil–Military Relations. In: Government and Opposition. 7. April 2022, ISSN0017-257X, S.1–18, doi:10.1017/gov.2022.13 (cambridge.org [abgerufen am 29. August 2023]).
↑Robert J. Antonio: Democracy and Capitalism in the Interregnum: Trump’s Failed Self-Coup and After. In: Critical Sociology. Band48, Nr.6, September 2022, ISSN0896-9205, S.937–965, doi:10.1177/08969205211049499 (sagepub.com [abgerufen am 29. August 2023]).
↑ abZum Sprachlichen siehe Schweizerisches Idiotikon, Band IV, Spalte 1936 ff., Artikel Putsch VII, ebenda auch dessen Zusammensetzungen und Ableitungen.
↑Lemma putsch im Portail lexical des Centre national de ressources textuelles et lexicales (CNTRL).
↑Charles de Gaulle setzte den Begriff 1943 noch in Anführungszeichen, als er Georges Catroux in einem Brief vor der Unterwanderung des Französischen Komitee für die Nationale Befreiung durch Vichy-Sympathisanten und andere feindliche Mächte warnte (Brief an General Georges Catroux vom 9. Juni 1943, ediert in: Charles de Gaulle: Lettres, notes et carnets, Band 13 (Compléments 1924-1970). Place des éditeurs, Pariss 2014).
↑Duden online: Putsch (der Zusatz „von Militärs“ in eckigen Klammern besagt, dass sich der Begriff in erster Linie auf Akteure aus dem Militär bezieht).
↑Klaus Schubert und Martina Klein: Das Politiklexikon. 4. Auflage. Dietz, Bonn 2006 (online, Zugriff am 2. Juni 2010).
↑Walter Theimer: Lexikon der Politik. Politische Begriffe, Namen, Systeme, Gedanken und Probleme aller Länder. 6. Auflage. Francke Verlag, Bern 1961, S. 673 f.
↑Erich Bayer (Hrsg.): Wörterbuch zur Geschichte. Begriffe und Fachausdrücke (= Kröners Taschenausgabe. Band 289). 4., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 1980, ISBN 3-520-28904-0, S. 429.
↑Wolf Middendorf: 20. Juli und Kapp-Putsch in der Sicht der Kriminologie. In: Hans-Dieter Schwind, Günter Blau, Ulrich Berz et al. (Hrsg.): Festschrift für Günter Blau zum 70. Geburtstag am 18. Dezember 1985. De Gruyter, Berlin und New York 1985, S. 257.
↑Manfred Hildermeier: Die Sowjetunion 1917–1991. Oldenbourg, München 2007, S. 1 und 226.
↑dtv-Lexikon in 20 Bänden. F. A. Brockhaus GmbH, Mannheim, und Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München 1997, ISBN 3-423-05998-2.
↑Knaurs Lexikon. Das Wissen unserer Zeit immer auf dem neuesten Stand. Vollständige Taschenbuch-Ausgabe 1987. Droemersche Verlagsanstalt, München 1985, 1987, ISBN 3-426-07739-6.