Transhumanz oder Wanderweidewirtschaft ist (nach der deutschen und romanischen Literatur) eine vorwiegend für den Markt produzierende Form extensiverFernweidewirtschaft unter der Obhut von halbsesshaften oder halbnomadischen Hirten mit einem klimabedingten saisonalen Wechsel der in verschiedenen Klimazonen oder Höhenstufen liegenden Weidegebiete, weil diese jeweils nur während einer Jahreszeit ausreichend Futter bieten. In der kalten oder trockenen Jahreszeit weidet das Vieh (zumeist) nah am dauerhaften Wohnort der sesshaften Eigentümer, während es die übrige Zeit auf entfernten Weiden in einer anderen Klimazone verbringt. Vor allem wird der Begriff für Wanderungen zwischen verschiedenen Höhenstufen der Gebirge verwendet. Die Eigentümer selbst betreiben Ackerbau oder gehen anderen Berufen nach.[1][2][3][4]
Wanderweidewirtschaft findet in jeder Periode grundsätzlich auf natürlich entstandenem, zumeist nichteingehegtemWeideland statt und ist eine Form der Landnutzung, die Pastoralismus genannt wird (Naturweidewirtschaft).[5] Eine Stallhaltung im Winter (wie bei der Almwirtschaft) kommt bei den klassischen Formen nur selten vor und geschieht nicht aus klimabedingter Notwendigkeit.[2][6]
Wanderweidewirtschaft ist nicht mit Nomadismus zu verwechseln, auch wenn sie heute eine häufige Form der mobilen Tierhaltungehemaliger Nomadenvölker ist.
Sofern die Eigentümer Ackerbau betreiben, wird dieser in aller Regel weitgehend unabhängig von der Viehwirtschaft betrieben; eine tiefgründige Wechselwirkung besteht nicht. Unter Umständen weiden die Tiere auf den abgeernteten Feldern, auf denen jedoch kaum oder gar kein Tierfutter angebaut wird.
Die Wanderungen – bei denen sehr große Distanzen von einigen hundert Kilometern überwunden werden – führen in der Regel aufgrund von sommerlicher Trockenheit in den Niederungen in höhere Lagen und von dort zurück, wenn Schneefall die Beweidung unmöglich macht.[8] Es gibt jedoch auch umgekehrte Formen.
Etymologie
Das Wort „Transhumanz“ bedeutet „auf die Gebirgsweide führen“ und geht auf französischtranshumer bzw. „transhumar“ = „wandern“ bzw. speziell „wandern von Herden“ zurück.[8] Eine andere Deutung bezieht sich auf lateinischtrans- und humus = „Erde“ und wird mit „jenseits der bebauten Erde“ übersetzt.[3]
Die transhumante Hütehaltung (ursprünglich mit Ziegen und Schafen) ist an Räume gebunden, die eine Wanderung zwischen zwei klimatisch unterschiedlichen und nur saisonal nutzbaren, steppenhaften Gras- oder Strauchgebieten ermöglichen. In aller Regel befindet sich eine Weide in der Ebene und eine im Gebirge. Die klassische Transhumanz ist eine sinnvolle Art der Viehhaltung in der globalen Zone zwischen 50° nördlicher und südlicher Breite, sofern Gebirge und benachbarte trockene Ebenen vorhanden sind.[1]
Besonders häufig treten diese Bedingungen in den winterfeuchten und sommertrockenen Mittelmeerklimaten und den angrenzenden subtropischen Trockengebieten auf, wo über 300 bis maximal 400 mm Jahresniederschläge fallen.[9] Das Hauptverbreitungsgebiet erstreckte sich bis weit ins 20. Jahrhundert über die Gebirgsländer des Mittelmeerraumes (Atlas-Gebirge in Nordwest-Afrika, Mittel- u. Südspanien, Südfrankreich, Südschweiz (Maggia- und Verzascatal), Italien, Balkan, Karpatenraum, Türkei, Kaukasien und Armenien).
Bei der klassischen Form wurden von den Eigentümern der Herde angestellte Hirten mit dem Viehtrieb und der Beaufsichtigung der Tiere betraut. Die Eigentümer betrieben früher zusätzlich Ackerbau und gehen heute z. T. anderen Berufen nach. Die „nomadisierenden“ Hirten bleiben während der Sommersaison dauerhaft in der Nähe der Tiere. Bisweilen wird diese Form auch als Lohnhirtentum bezeichnet.[8]
Diese ursprüngliche Transhumanz wird heute südlich der Alpen bis Nordafrika sowie im Nahen Osten nur noch selten betrieben, da die klimatischen Bedingungen in den Ebenen bereits ertragreichere landwirtschaftliche Nutzungen zulassen. In marginalen Räumen wird sie jedoch zum Teil als nachhaltige und umweltfreundliche Wirtschaftsform finanziell gefördert.[10] Relativ häufig ist sie noch bei den Berberstämmen des Atlasgebirges in Nordafrika.[3]
Im Zuge der europäischen Kolonisierung hat sie sich auch in anderen Erdteilen etabliert, so etwa im „Wilden Westen“ der USA, in Süd- und Ostafrika, in Nord-Kolumbien und im brasilianischen Bergland oder in Tasmanien.[11] In einigen außereuropäischen Ländern werden zum Teil transhumante Wanderungen mit Rindern durchgeführt. Ebenfalls finden sich dort verschiedene Übergangsformen zur stationären Viehhaltung.
Yaylak-Pastoralismus
Zur klassischen Form wird häufig auch noch der sogenannte „Yailak- oder Dzhailoo-Pastoralismus“ (russisch/kirgisischДжайлоо) gerechnet, der von der Türkei bis Mittelasien zu finden ist. Hier wird das Vieh statt von Hirten von einem Teil der lokalen Gemeinschaftselbst auf die Bergweide (Yayla) getrieben, die dort währenddessen nomadisch in Zelten leben. Im Winter wird das Vieh in den Dörfern meist eingestallt.[12] Der Yailak-Pastoralismus ersetzt heute vielfach den Vollnomadismus, so dass er auch zur mobilen Tierhaltung gezählt wird (s. u.).
Weitere Formen
In den geografischen Wissenschaften werden weitere Untergliederungen und Kennzeichnungen wie folgt vorgenommen:
Normale oder aufsteigende Transhumanz = Ackerbau und Winterweide in der Ebene, Sommerweide im Gebirge. Weit verbreitet im Mittelmeerraum
Invertierte oder absteigende Transhumanz = Ackerbau und Sommerweide im Gebirge, Winterweide in der Ebene. Seltene Form, z. B. in Nordwest-Italien, im Kaukasus vorsowjetischer Zeit
Hibernale oder tropikale Transhumanz = Ackerbau im Gebirge oder der Ebene, Sommerweide in der Ebene, Winterweide im Gebirge. Vor allem in äquatornahen Gebieten Südamerikas oder Ostafrikas.
Kleine Transhumanz = Ackerbau im Gebirge, Sommer- und Winterweide an klimatisch wechselnden Standorten im Gebirge. Selten in den französischen Alpen und Pyrenäen.
Komplexe Transhumanz = Mehr als zweimaliger Weidewechsel (zumeist noch Frühjahrs- und Herbstweiden), evtl. Beifütterung und zeitweise Stallhaltung, Sitz der Eigentümer bei einer der Übergangsweiden. Bekannt aus Spanien, vor allem jedoch aus den westlichen USA als Ergänzung zum Ranching (Zentral-Utah, Süd-Idaho).[13][14]
Gegenwärtige Formen
Bereits in den 1960er Jahren nahm die sogenannte „gemischte Transhumanz“ überall zu, die durch winterliche Einstallung und Beifütterung aus Mangel an Weideland gekennzeichnet ist.[13] Der Mangel entstand und entsteht durch die Ausweitung der modernen Landwirtschaft in den Ebenen, so dass der Platz für Weiden zurückgeht. Dennoch wird diese Form weiterhin der klassischen Wanderweidewirtschaft zugerechnet.
Weitaus häufiger als die traditionellen Formen ist heute jedoch eine auf saisonale Wanderungen reduzierte Hütehaltung der ehemals hirtennomadischen Völker; vor allem in der West- und Süd-Sahara, in Ostafrika, Südarabien und Zentralasien.[15] Die Hütehaltung wird hier zumeist halbnomadisch betrieben und gleicht dem schon beschriebenen Yaylak-Pastoralismus. Allerdings wird damit ein Modell angewendet, das nicht an Regionen mit Jahresniederschlägen von maximal 300 mm angepasst ist. Diese Entwicklung hat überall eine deutliche Bodendegradation und die Gefahr der Desertifikation (Wüstenbildung) zur Folge. Vor diesem Hintergrund sprechen einige Autoren lieber von mobiler Tierhaltung, statt von Transhumanz.[16][17]
Obwohl die Almwirtschaft der Alpen, wie auch die Seterwirtschaft (norwegischseter, sæter, schwedischsäter, fäbod) im skandinavischen Gebirge viele Parallelen aufweisen und in der englischen Literatur dort einsortiert werden, sind sie keine Transhumanz: Im Gegensatz zur Wanderweidewirtschaft nutzen die Bauern die Bergweiden zusätzlich und nicht notgedrungen. Eine Stallhaltung im Winter ist hingegen zwingend erforderlich, und es findet ein regelmäßiger Austausch zwischen Berg und Tal statt.[6] Auch die isländische Hochweidewirtschaft ist trotz „echter“ saisonaler Beweidung keine Transhumanz, da die Tiere den Sommer ganz ohne Aufsicht verbringen.[19] In Frankreich wird die Wanderung mit Bienenvölkern in besondere Trachtgebiete, z. B. Edelkastanie oder Raps transhumance genannt, weil eine neue Bienenweide angewandert wird.
Siehe auch
Vercors (für heutige Transhumanz typische Region in den französischen Alpen)
Arnold Beuermann: Fernweidewirtschaft in Südosteuropa. Ein Beitrag zur Kulturgeographie des östlichen Mittelmeergebietes. Westermann, München 1967.
Thede Kahl: Auswirkungen von neuen Grenzen auf die Fernweidewirtschaft. In: C. Lienau (Hrsg.): Grenzen und Grenzräume in Südosteuropa. Südosteuropa-Jahrbuch 32, München, S. 245–272.
Thede Kahl: Hirten in Kontakt. Sprach- und Kulturwandel ehemaliger Wanderhirten in Epirus und Südalbanien. Balkanologie 3. LIT, Münster / Wien / New York, ISBN 978-3-8258-0944-7.
Burkhard Hofmeister: Die Transhumance in den westlichen Vereinigten Staaten von Amerika. Reuter Gesellschaft, Berlin 1958 (Doktorarbeit an der FU Berlin).
Bernhard Hänsel: Die Steppe und der südosteuropäische Subkontinent. Nomadeneinfälle und Transhumanz. In: Civilisation Grèque et Cultures Antiques Péripheriques – Hommage à P. Alexandrescu. Bukarest 2000, S. 31–43.
Tilman Welte: Pastoralismus, Ökologie und Gesellschaft. Handlungszwänge und Handlungsstrategien transhumanter Rinderhalter in der Feuchtsavanne der VR Benin (= Sozialanthropologische Arbeitspapiere, Band 24). Das Arabische Buch, Berlin 1989, ISBN 3-923446-62-4.
Dorothea Zöbl: Die Transhumanz (Wanderschafhaltung) der europäischen Mittelmeerländer im Mittelalter in historischer, geographischer und volkskundlicher Sicht (= Berliner Geographische Studien, Band 10), Berlin 1982. ISBN 3-7983-0809-8.
Dorothea Zöbl: Die Transhumanz. Zur Prozesshaftigkeit einer agrarischen Wirtschaftsform. Historical Social Research/Historische Sozialforschung Nr. 36, Oktober 1985, Köln, S. 99–103. ISSN 0172-6404.
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Burkhard Hofmeister: Wesen und Erscheinungsformen der Transhumance. In: Erdkunde: Archive for Scientific Geography. Nr. 15/2, 1961, S. 131.
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Hermann Kreutzmann: Hunza: ländliche Entwicklung im Karakorum. In: Abhandlungen Anthropogeographie. Band 44. Berlin. S. 127–128.
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Burkhard Hofmeister: Wesen und Erscheinungsformen der Transhumance. In: Erdkunde: Archive for Scientific Geography. Nr. 15/2, 1961, S. 134.
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↑ ab
Burkhard Hofmeister: Wesen und Erscheinungsformen der Transhumance. In: Erdkunde: Archive for Scientific Geography. Nr. 15/2, 1961, S. 123.