Theodor Fischer wurde als sechstes Kind von Ferdinand und Friederike Fischer in Schweinfurt geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters 1869, der Großhändler für Indigo, Farbholz und Wolle war, besuchte er das humanistische Gymnasium in Schweinfurt. Dort schon zeigte sich seine Vorliebe zum Zeichnen und Karikieren. Von 1880 bis 1885 studierte er Architektur an der Technischen Hochschule München. Er war ein Schüler von Friedrich Thiersch sowie von dessen Assistenten Karl Hocheder, einem Meister der Architekturzeichnung, und wurde zugleich von Thierschs Bruder August in die antike Architektur und Proportionslehre eingeführt, die er bei seinen Bauten anwandte. Er setzte sich aber bald von dem von Friedrich Thiersch gelehrten Historismus ab und entwickelte einen eigenen, aus den regionalen und sozio-kulturellen Voraussetzungen der jeweiligen Umgebung begründeten Stil, wobei er die soziale Lage, wie das Leben der Bewohner und Nutzer in und mit den von ihm entworfenen häuslichen, kirchlichen, offiziellen und städtischen Räumen zum Ausgangspunkt machte.
Theodor Fischer starb am 25. Dezember 1938 im Alter von 76 Jahren im Laimer Schlössl, seinem Wohnsitz in München, in dem er mit seiner Frau Therese dreißig Jahre lang und in nächster Nähe zu seinem Architekturbüro gelebt hatte. Er wurde – nur von wenigen Freunden geleitet – auf dem Waldfriedhof in München (Grabnr. 039-W-14)[1] bestattet.
Beruflicher Werdegang
Fischer arbeitete nach seinem Studium zunächst von 1886 bis 1889 im Baubüro des Reichstagsgebäudes unter Leitung von Paul Wallot in Berlin. Dort besuchte er auch Vorlesungen an der Universität und knüpfte wichtige Bekanntschaften, etwa mit Otto Rieth, der später sein Kollege an der Hochschule wurde, und Wilhelm Rettig, dem späteren Leiter des Münchner Stadtbauamts, der Fischer 1893 in das Stadterweiterungsbüro holte. Nach einer Bürogemeinschaft Reuter & Fischer mit dem Dresdner Architekten Richard Friedrich Reuter zwischen 1889 und 1892 arbeitete Fischer kurzzeitig mit Gabriel von Seidl in München zusammen. Als Vorstand des Stadterweiterungsreferats in der kommunalen Bauverwaltung der Stadt München von 1893 bis 1901 stellte Fischer einen Generalbebauungsplan für München auf, der bis zum Zweiten Weltkrieg verbindlich galt und das Bild Münchens bis heute in einigen Stadtregionen prägt. Seine Staffelbauordnung als frühe Form der Bauleitplanung wurde bis Anfang der 1990er Jahre akzeptiert.
1901 folgte er dem Ruf an die Technische Hochschule Stuttgart und war dort bis 1908 Professor für Bauentwürfe einschließlich Städteanlage. Mit der Berufung nach Stuttgart begann Fischers erfolgreichste und intensivste Schaffensperiode als Architekt; zugleich zog er mit seiner neuen, von Werkkunde und Städtebau geprägten Lehrmethode und der Offenheit gegenüber den Ideen seiner Schüler die junge Generation an. Er war, wie der Architekt Fritz Schumacher meinte, „der Erzieher einer ganzen Architektengeneration“, die in der Folge sowohl als Traditionalisten wie als Progressive das Bild der Städte bis nach dem Zweiten Weltkrieg prägten. Vertreter der in der Weimarer Republik bekannten „Stuttgarter Schule“ (z. B. Paul Schmitthenner, Heinz Wetzel) betrachteten Fischer als ihren „geistigen Vater“. In seinem Büro arbeiteten so gegensätzliche Charaktere wie Bruno Taut und Paul Bonatz, der sein Assistent und später Nachfolger auf dem Stuttgarter Lehrstuhl wurde und in den 1940er Jahren zu einem heftigen Kritiker Fischers, aus dessen Bannkreis als Übervater er sich erstmals mit dem Bau des Stuttgarter Bahnhofs gelöst habe. Er warf Fischer Unordnung, mangelnde Systematik und Klarheit in Architektur und im Städtebau vor und charakterisierte seine Bauten, wie etwa die Münchner Schulbauten oder die Jenaer Universität, als „fränkisch verknödelt“.
1908 kehrte Fischer als Professor für Baukunst an die Technische Hochschule München zurück, an der er schon 1901 als Lehrbeauftragter tätig gewesen war und u. a. René von Schöfer sein Assistent war. Im gleichen Jahr verlieh die Universität Jena ihm anlässlich der Fertigstellung des von ihm entworfenen Universitätsgebäudes die Ehrendoktorwürde. Seine Gedanken zu einer dringenden Studienreform veröffentlichte er 1917 in seinem „Manifest für die deutsche Baukunst“, in dem er sich vehement für eine neue Architektenausbildung einsetzte: Nach zwei Jahren Hochschule sollten drei Jahre Lehrwerkstatt unter Anleitung eines Meisters folgen. Bruno Taut griff diese Gedanken in seinem „Architektur-Programm“ auf, das Grundlage für das Bauhaus-Manifest wurde. Wiewohl skeptisch gegenüber der Radikalität des Neuen Bauens, das die Nationalsozialisten als „bolschewistische“ und gegen den deutschen Geist gerichtete Kunst verfolgten, verteidigte Fischer diese neue Schule sowohl 1932 in einem Appell zur Erhaltung des Bauhauses wie in seiner denkwürdigen Rede zur Feier des Kampfbundes für Deutsche Kultur im Goldenen Saal des Augsburger Rathauses im Oktober 1933, zu der die gesammelte NS-Prominenz erschienen war. Damit war er – seit 1928 als Professor in München emeritiert – nach eigenen Aussagen „beiseite gestellt und mißliebig“ geworden. Der Architekt des Erweiterungsbaus der Universität München und des Deutschen Museums, German Bestelmeyer, lief ihm in dieser letzten Münchner Zeit den Rang ab. Theodor Fischer entwarf nach dem Ersten Weltkrieg für München eine Reihe von Hochhäusern mit 22 bis 27 Geschossen, die, wie entsprechende Projekte seines Kollegen Otho Orlando Kurz, alle nicht genehmigt wurden.
Nachwirkung
1946 gründeten Schüler Fischers, beeindruckt von der Zerstörung durch den Weltkrieg, das Theodor-Fischer-Institut und suchten in einer von Walter Gropius eröffneten Vortragsreihe Lösungen für den Wiederaufbau. Die Erben seiner Kinder Wilhelm Fischer (1894–1945) und Lore Wetzel (1896–1987) trugen mit dazu bei, dass Theodor Fischer zu seinem 50. Todestag in München und Stuttgart eine erste umfassende Gedächtnisausstellung mit einem kritischen Werkverzeichnis erhielt. Winfried Nerdinger würdigte darin sein Werk als das „des einflussreichsten und bedeutendsten Architekten vor dem Ersten Weltkrieg“, der über 100 ausgeführte Bauten hinterlassen hat; ganz zu schweigen von zahlreichen nicht ausgeführten Projekten für Bauten und städtische Räume, mit denen er an Wettbewerben teilnahm oder seine idealen Vorstellungen skizzierte. Seine reiche Vortragstätigkeit, Aufsätze und Beiträge für Fachzeitschriften bieten einen Einblick in seine Gedankenwelt, die sich fast dialektisch zwischen alt und neu, Tradition und Moderne, im Sinne eines neugierigen Fortschreitens bewegte.
Nach Fischer ist der sogenannte Fischerbogen benannt, eine besondere architektonische Bauform des Bogens, die er erfand.
Mitgliedschaften
Fischer war 1907 Mitbegründer und in der Folge 1. Vorsitzender im Ausschuss des Deutschen Werkbunds[2] sowie Mitglied der Deutschen Gartenstadt-Gesellschaft. Er war beratend und gestalterisch an der Entstehung der ersten deutschen Gartenstadt Hellerau beteiligt. Sein Schaffen ist geprägt von der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Industrialisierung und der Überwindung des Historismus am Beginn der modernen Architektur.
Das Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München vergibt jährlich den Theodor-Fischer-Preis als internationalen Nachwuchsförderpreis für herausragende Forschungsarbeiten zur Architekturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.[5]
Theodor Fischer als Namensgeber
Nach Theodor Fischer wurde 1947 im Münchener Stadtteil Allach (Stadtbezirk 23 – Allach-Untermenzing) die Theodor-Fischer-Straße benannt.[6][7][8]
In Fischers Geburtsstadt Schweinfurt gibt es einen nach ihm benannten Theodor-Fischer-Platz.[9][10]
Der kleine Theodor-Fischer-Platz in Stuttgart liegt an der Ecke Heusteigstraße / Römerstraße, gegenüber der von Theodor Fischer erbauten Heusteigschule.[21][22]
Werk
Bauten und Entwürfe
Die Liste nennt die ausgeführten Werke Fischers chronologisch nach dem Jahr der ersten Entwürfe. Die tatsächliche Bauausführung war teilweise später, einige Projekte wurden durch andere Architekten ausgeführt.
Gebäude der Versicherung der Zuckerindustrie (Asekurační spolek průmyslu cukrovarnického) in der Prager Neustadt, 1912–1915 (zusammen mit Josef Zasche; Neobarockbau mit kubistischen und neoklassizistischen Elementen; Praha-Nové Město, Senovážné náměstí 976/31–33; unter Denkmalschutz ÚSKP-Nr. 12366/1-2194)[27][28]
Kantine für die Bayerische Geschützwerke Fried. Krupp KG in München-Freimann, 1916 (einzig ausgeführter und nicht erhaltener Teil einer umfangreichen Planung für Arbeitersiedlung und Verwaltungsgebäude; Die ohne Beteiligung Fischers geplanten Fabrikanlagen wurden später als Ausbesserungswerk München-Freimann genutzt.)[29]
Außerdem erwarb er 1908 das verfallene, unter dem Bayerischen Kurfürsten Max Emanuel errichtete Wirtschaftsgebäude an der Agnes-Bernauer-Straße in München und ließ es umfangreich renovieren. Es liegt in der Nachbarschaft des ab 1911 errichteten Neubaugebiets an der Gunzenlehstraße. In den Nebengebäuden befand sich Fischers Planungsbüro. Das „Laimer Schlössl“ stellt heute eine der Sehenswürdigkeiten von München-Laim dar.
Brunnen, Grabmale und Denkmale
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Stadterweiterungsfragen mit besonderer Rücksicht auf Stuttgart. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1903. (Digitalisat)
Schule am Fangelsbachfriedhof Beschrieb. (Projektbeschreibung der Heusteigschule) Transkription des Manuskripts von Theodor Fischer, 1904. In: #Krebber 1996, Seite 117–118.
Das Schulhaus vom ästhetischen Standpunkt. Transkription des Typoskripts von Theodor Fischer, 12. Dezember 1907. In: #Krebber 1996, Seite 119–125.
Sechs Vorträge über Stadtbaukunst. R. Oldenbourg, München u. a. 1920.
Denkschrift zum General-Bebauungs- und Besiedlungsplan für Augsburg und Umgebung. Augsburg 1930.
Theodor Fischer, Bayerischer Architekt und Städteplaner. Eine Filmdokumentation von Bernhard Graf. Bayerischer Rundfunk, 2005.
Literatur
Gustav Keyssner: Theodor Fischer. Wohnhausbauten. (zum 50. Geburtstag Theodor Fischers) J. J. Arnd, Leipzig 1912. (Online als PDF-Dokument)
Hans Daiber: Das königliche Kunstgebäude in Stuttgart.Württembergischer Kunstverein, Stuttgart 1988. (Nachdruck aus Der Profanbau, Jahrgang 1914, ...) (zum 75-jährigen Bestehen des Gebäudes)
Julius Baum: Die Pfullinger Hallen. 2. Auflage, Piper & Co., München 1916.
Hans Karlinger: Theodor Fischer. Ein deutscher Baumeister. Callwey, München 1932.
Rudolf Pfister: Theodor Fischer. Leben und Wirken eines deutschen Baumeisters. Callwey, München 1968.
Ulrich Kerkhoff: Eine Abkehr vom Historismus oder ein Weg zur Moderne. Theodor Fischer. Karl Krämer, Stuttgart 1987, ISBN 3-7828-1493-2.
Winfried Nerdinger: Theodor Fischer. Architekt und Städtebauer 1862–1938. Ernst & Sohn, Berlin 1988, ISBN 3-433-02085-X. (Ausstellungskatalog der Architektursammlung der Technischen Universität München und des Münchner Stadtmuseums)
Michael Schmidt: Später Historismus und funktionales Museum. Architektur, Baugeschichte und Sammlungskonzept des Hessischen Landesmuseums Kassel. In: 75 Jahre Hessisches Landesmuseum Kassel. Darmstadt 1988, ISSN 0452-8514.
Württembergischer Kunstverein Stuttgart (Hrsg.): Theodor Fischer in Württemberg. Stuttgart 1989.
Kerstin Krebber: Die Heusteigschule von Theodor Fischer in Stuttgart 1904–1906. (mit einer Beschreibung der Schule von Theodor Fischer und seinem Aufsatzfragment „Das Schulhaus vom ästhetischen Standpunkt“) Klett-Cotta, Stuttgart 1996, ISBN 3-608-91797-7.
Ulrich Hangleiter: Theodor Fischer als Kirchenbauer. Anton H. Konrad, Weißenhorn 1999, ISBN 3-87437-424-6.
Uwe Hinkfoth: Die evangelische Garnisonkirche in Ulm (1905–1910) von Theodor Fischer und die Bauaufgabe der Garnisonkirche in der Deutschen Kaiserzeit. Olms, Hildesheim 2001.
Suzane von Seckendorff: Theodor Fischer in Laim. Auf den Spuren des 'Zeus von Laim'. (Buch zur Ausstellung) INTERIM, München 2003/2004. (Münchner Forum e. V.)
Hermann Taigel (Hrsg.): Die Pfullinger Hallen und ihr Stifter Louis Laiblin. (= Beiträge zur Pfullinger Geschichte, ISSN 1436-8390, Band 15.) 2. Auflage, Pfullingen 2007.
Matthias Castorph (Hrsg.), Theodor Fischer: Sechs Vorträge über Stadtbaukunst. (Erweiterter Nachdruck der 1. Auflage von 1920, ergänzt um eine Anmerkung des Herausgebers und eine Auswahl von 17 Vorlesungsskizzen von Theodor Fischer aus der Sammlung des Architekturmuseums der Technischen Universität München) Franz Schiermeier Verlag, München 2009, ISBN 978-3-9811425-7-0.
Alfred Lutz: Theodor Fischer. In: Maria Magdalena Rückert (Hrsg.): Württembergische Biographien unter Einbeziehung hohenzollerischer Persönlichkeiten. Band II. Kohlhammer, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-17-021530-6.
Lehrstuhl für Städtebau und Regionalplanung, Technische Universität München (Hrsg.): Theodor Fischer Atlas. Städtebauliche Planungen in München. Franz Schiermeier Verlag, München 2012, ISBN 978-3-943866-00-1.
Dietrich Heißenbüttel: Wiederzuentdecken. Zum 150. Geburtstag Theodor Fischers. Ideengeber der Stuttgarter Schule. In: Schwäbische Heimat, 63. Jahrgang 2012, Nr. 2, S. 147–154. (doi:10.53458/sh.v63i2.2844)
Rose Hajdu, Dietrich Heißenbüttel: Theodor Fischer. Architektur der Stuttgarter Jahre. Ernst Wasmuth Verlag, Tübingen / Berlin 2018, ISBN 978-3-8030-0795-7.
↑Zdeněk Lukeš: Begleichung der Schuld. Deutschsprachige Architekten in Prag 1900–1938. (Splátka dluhu: Praha a její německy hovořící architekti 1900–1938). Fraktály Publishers, Prag 2002, ISBN 80-86627-04-7, S. 39–41.
↑Theodor Fischer: Bauten der bayr. Geschützwerke Fried. Krupp Kommanditgesellschaft, München. In: Der Profanbau, 16. Jahrgang 1920, Heft 15/16 (vom 1. August 1920), S. 113–119.
↑ abGrabmal Wilbrandt auf tum.de (zwei verschiedene Grabmal-Aufträge von Fischers Bauherrn Robert Wilbrandt für dessen Vater (1912) und dessen erste Ehefrau (1918), irrtümlich zu einem Datensatz zusammengefasst)