2017 hatte Rau die Saarbrücker Poetikdozentur für Dramatik[6] inne. Zudem ist er seit Januar 2017 neben Elke Heidenreich, Rüdiger Safranski und Martin Ebel fester Experte der Sendung Literaturclub.[7] Seit der Saison 2018/19 ist Rau Intendant des NTGent.[8][9] Dort will Rau nach eigenen Angaben ein auf internationale Tourneen spezialisiertes „globales Volkstheater“[10] etablieren. Im Januar 2023 wurde er als künftiger Nachfolger von Christophe Slagmuylder als Intendant der Wiener Festwochen präsentiert.[11] Amtsantritt ist zum Juli 2023, eine fünfjährige Vertragslaufzeit ist vorgesehen.[12]
Rau ist Vater von zwei Töchtern und lebt mit seiner Lebenspartnerin in Köln, Zürich und Südfrankreich.[13]
2015 versammelte Rau im kongolesischenBürgerkriegsgebiet 60 Zeugen und Experten zu seinem Kongo Tribunal. „Das ambitionierteste politische Theaterprojekt, das je inszeniert wurde“, urteilte die Zeitung The Guardian[19] über das Stück. Raus im Vorfeld kritisiertes Stück Five Easy Pieces, in dem Kinder die Verbrechen des KindermördersMarc Dutroux nachspielen, wurde 2016 als erste ausländische Produktion mit dem Spezialpreis der Jury der Belgischen Theaterkritik ausgezeichnet.[20] 2017 lud das Berliner TheatertreffenFive Easy Pieces ein.[21]
Seine erste Saison am NTGent eröffnete Rau 2018 mit dem Stück "Lam Gods", das er mit seinem Ensemble auf Grundlage des „Genter Manifests“ (enthalten in seinem Buch Globaler Realismus) zum Genter Altar der Brüder Van Eyck entwickelte. Der Deutschlandfunk sah in dem Stück den „Versuch, die von Konflikten und Spaltungen zerrissene Genter Gesellschaft mithilfe des größten Kunstwerkes der Stadt zu versöhnen.“[22] Zum Beginn seiner Intendanz startete er zudem am NTGent in Kooperation mit dem Verbrecher Verlag die Reihe „Goldenes Buch/Golden Book“, um dort seine programmatischen Texte zu Theater, Ästhetik und Politik zu veröffentlichen, sowie Texte zu den größeren Projekten am NTGent.[23]
Rezeption
Rau wurde unter anderem mit dem Schweizer Theaterpreis[24], dem Hörspielpreis der Kriegsblinden[25], einer Besonderen Auszeichnung auf dem Festival des deutschen Films[26], dem Jurypreis des Festivals Politik im Freien Theater[27], dem Konstanzer Konzilspreis. Preis für Europäische Begegnungen und Dialog[28] und als jüngster Preisträger mit dem Preis des Internationalen Theaterinstituts (ITI)[29] ausgezeichnet. 2015 schrieb der Tages-Anzeiger: „Der «Milometer» ist inzwischen so etwas wie der Goldstandard der Postdramatik: Milo Rau, der mit dokumentarischen Theatersprengungen die Häuser füllt, ist es gelungen, seine Kunst weit hinauszuwerfen aus dem Elfenbeinturm. So weit, dass sich seine Person selbst wieder zu einer Projektionsfigur verfestigt hat.“[30]
Sein oft von Prozessen und öffentlichen Auseinandersetzungen begleitetes Werk hat Rau den Ruf eines Skandalregisseurs“[31] eingebracht. So wurde Raus Stück Breiviks Erklärung u. a. im Nationaltheater Weimar und im Münchner Haus der Kunst die Aufführung verweigert[32], Die letzten Tage der Ceausescus führten zu einem Prozess des Adoptivsohns des Diktators gegen den Regisseur[33], anlässlich der Moskauer Prozesse kam es zu einer Razzia der russischen Behörden[34] und Aufführungen von Five Easy Pieces wurden in Singapur und verschiedenen deutschen Städten zensiert oder abgesagt.[35][36] „Ist hier am Ende ein politischer Wirrkopf am Werk? Ein Künstler, der sich das Superman-Kostüm übergestreift hat und nun den Weltenretter mimt?“, fragte Esther Slevogt auf nachtkritik.de anlässlich von Raus Kongo Tribunal.[37]Eugen Sorg bemerkte bei Rau „masslose Schweiz-Beschimpfungen“ und warf ihm mangelnde Bodenhaftung durch das Fehlen der „Schwerkraft des praktischen Lebens“ vor. Raus auf einen gleichnamigen Text von Lenin anspielender Essay Was tun? enthülle „blasierten Zynismus, Wichtigtuerei und moralischer Nihilismus“ hinter der angeblichen Sorge um die Welt.[38] Der Kritiker Magnus Klaue bezeichnete Rau 2017 anlässlich der Verleihung des Peter-Weiss-Preises durch Laudatorin Carolin Emcke ironisch als „Herzensdramatiker der Republik“. In seiner Kritik bezeichnet Klaue Rau als „multifunktionale Ich-AG, die nicht nur die Produktion, sondern auch die Rezeption, Kritik und propagandistische Verwertung des eigenen Kunstausstoßes besorgt“.[39]
Zitate
„‚Die Fenster des Himmels stehen weit offen‘, heißt es in einem religiösen Lied. Das Theater, so denke ich, kann diese Fenster einen Spalt weit öffnen. Und auch wenn sie gleich wieder zugeschlagen werden: Man hat den Himmel kurz gesehen.“ (2016)[40]
Werke (Auswahl)
2002 Paranoia Express, UA Autorenfilmtage Thun/Spiez (Spielfilm)
2005 Dämonen, UA Hebbel am Ufer Berlin (Theaterstück)
2007 Montana, Uraufführung Theaterhaus Gessnerallee Zürich / Ballhaus Ost Berlin/auawirleben Festival für zeitgenössisches Theater Bern (Theaterstück)
2009/10 Die letzten Tage der Ceausescus, UA Teatrul Odeon Bukarest / HAU Berlin (Theaterstück, Film, Buch im Verbrecher Verlag, Berlin)
2010/11 City of Change, UA Theater St. Gallen (Theaterperformance, Buch, Film)
2011/12 Hate Radio, UA Kunsthaus Bregenz / Memorial Centre Kigali / HAU Berlin (Theaterstück, Film, Ausstellung, Buch im Verbrecher Verlag, Berlin)
Für die Hörspielfassung, produziert vom WDR/ORF, haben Milo Rau und die Hörspiel-Regisseurin Milena Kipfmüller 2014 den Hörspielpreis der Kriegsblinden erhalten
2012 Breiviks Statement, UA Deutsches Nationaltheater Weimar / Theaterdiscounter Berlin (Theaterperformance)
2013 Die Enthüllung des Realen, Sophiensaele Berlin (Szenische Ausstellung, Buch)
2013/14 Die Berliner Gespräche, Schweizerische Botschaft Berlin (Talkshow)
2014 The Civil Wars, Beursschouwburg Brüssel / Theaterspektakel Zürich (Theater)
2015 The Dark Ages, Uraufführung 11. April 2015, Regie: Milo Rau, Residenztheater, München (auch Hörspiel WDR)[42]
2015 Leitfaden für Britische Soldaten in Deutschland, Uraufführung 8. Mai 2015, Regie: Milo Rau; Ursendung Hörspiel: 9. Mai 2015, WDR (Realisation: Milo Rau)
2015 Das Kongo Tribunal, Bukavu-Hearings, Collège Alfajiri, 29.–31. Mai 2015; Berlin-Hearings, Sophiensaele, 26.–28. Juni 2015, Konzept und Regie: Milo Rau (Theater, Film, Buch)
2016 Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs, Uraufführung 16. Januar 2016, Regie: Milo Rau, Schaubühne am Lehniner Platz (auch Hörspiel WDR)[43]
2016 Five Easy Pieces, Uraufführung 14. Mai 2016, Regie: Milo Rau, Sophiensaele Berlin / Kunstenfestivaldesarts Brüssel
2016 Empire, Uraufführung 1. / 9. September 2016, Regie: Milo Rau, Theaterspektakel Zürich / Schaubühne Berlin
2017 Die 120 Tage von Sodom, Uraufführung 10. Februar 2017, Regie: Milo Rau, Schauspielhaus Zürich
2017 Lenin, Uraufführung 10. Oktober 2017, Regie: Milo Rau, Schaubühne Berlin
2017 General Assembly, Uraufführung 10. November 2017, Regie: Milo Rau, Schaubühne Berlin
2018 Die Wiederholung. Histoire(s) du théâtre (I), Uraufführung: 4. Mai 2018, Regie: Milo Rau, Théâtre National, Brüssel
Die Rückeroberung der Zukunft. Ein Essay, Rowohlt Verlag, Hamburg, 2023, ISBN 978-3-498-00115-5
Grundsätzlich unvorbereitet. 99 Texte über Kunst und Gesellschaft, Verbrecher Verlag, Berlin 2021, ISBN 978-3-95732-475-7.
Why Theatre? – Golden Book V, Kaatje de Geest, Carmen Hornbostel, Milo Rau (Hrsg.), Verbrecher Verlag, Berlin 2020, ISBN 978-3-95732-458-0 (Ausgabe in englischer Sprache)
The Art of Resistance. On Theatre, Activism and Solidarity - Golden Book IV, Milo Rau / Luanda Casella / Stefan Bläske / Lara Staal (Hrsg.), Verbrecher Verlag, Berlin 2020, ISBN 978-3-95732-441-2 (Ausgabe in englischer Sprache)
Das geschichtliche Gefühl. Wege zu einem globalen Realismus. Saarbrücker Poetikdozentur für Dramatik. Hg. und mit einem Essay von Johannes Birgfeld. Alexander Verlag, Berlin 2019, ISBN 978-3-89581-492-1.
Lam Gods – Gouden Boek II / The Ghent Altarpiece – Golden Book II. Verbrecher Verlag, Berlin 2018, ISBN 978-3-95732-363-7 (vollständig zweisprachige Ausgabe auf Flämisch und Englisch)
Globaler Realismus – Golden Book I / Global Realism – Golden Book I, ISBN 978-3-95732-361-3, bzw. Globaal realisme – Gouden Boek I / Réalisme global – Livre d’Or I, ISBN 978-3-95732-362-0, beide im Verbrecher Verlag, Berlin 2018 (vollständig viersprachige Ausgabe auf Flämisch, Französisch, Englisch und Deutsch in zwei Bänden).
Rolf Bossart (Hrsg.), mit Beiträgen von Milo Rau u. a.: Die Enthüllung des Realen. Milo Rau und das International Institute of Political Murder. Verlag Theater der Zeit, Berlin 2013, ISBN 3-943881-69-5.
Was tun? Kritik der postmodernen Vernunft. Kein & Aber Verlag, Zürich 2013, ISBN 3-0369-5684-0.
Die letzten Tage der Ceausescus. Verbrecher Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-940426-45-1.
Literatur
Beck, Laura: Weißnasen mit Rückflugticket? Entwicklungshilfe als Egotrip bei Lukas Bärfuss und Milo Rau. In: (Off)the Beaten Track? Normierungen und Kanonisierungen des Reisens. Königshausen & Neumann, Würzburg 2018, S. 371–390.
Birgfeld, Johannes: Milo Raus Theater der Revolution. Mimesis, Immersion und Transzendenz, Tragödie und globaler Realismus. In: Milo Rau: Das geschichtliche Gefühl. Wege zu einem globalen Realismus. Saarbrücker Poetikdozentur für Dramatik. Hg. und mit einem Essay von Johannes Birgfeld. Alexander Verlag, Berlin 2019, ISBN 978-3-89581-492-1, S. 149–171.
Birgfeld, Johannes / Frank, Caroline: Milo Raus Die Moskauer Prozesse (2013) oder: Wenn das Theater das Gerichtstheater ersetzt. Überlegungen zu Formen des politischen Theaters im 21. Jahrhundert. In: Stefan Neuhaus / Immanuel Nover (Hg.): Das Politische in der Literatur der Gegenwart. De Gruyter, Berlin 2018, S. 273–290.
Deiters, Franz-Josef: "Selbstermächtigung der handelnden Individuen in ihrer Zeit". Milo Raus Theater der Sozialen Plastik. In: Franz-Josef Deiters: Neues Welttheater? Zur Mediologie des Theaters der Neo-Avantgarden. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2022, S. 115–151.
Emcke, Carolin: Laudatio auf Milo Rau. In: Peter-Weiss-Jahrbuch Bd. 27 (2018), S. 161–166.
Knittel, Susanne C.: Memory and repetition. Reenactment as an affirmative critical practice. In: New German critique H. 46 (2019), S. 171–195.
Lange, Stella: Staging transitory Europe. Precarious re-enactment variations form Le Birgit Ensemble's "Memories of Sarajevo" to Milo Rau's "The Dark Ages". In: Forum modernes Theater H. 31 (2020), S. 160–174.
Sprecher, Thomas: Gerichtstheater und Theatergericht. Anmerkungen zu einem Zürcher Versuch. In: Recht populär. - Wien : Facultas 2016, S. 107–123.
Thurn, Nike: Engagierte Form. Milo Raus Ästhetik des Reenactments. In: Peter Weiss Jahrbuch Bd. 27 (2018), S. 173–186.
Walter-Jochum, Robert: (Ent-)Schärfungen: Terrorideologien als Material von Reenactments bei Romuald Karmakar und Milo Rau. In: Stefan Neuhaus / Immanuel Nover (Hg.): Das Politische in der Literatur der Gegenwart. De Gruyter, Berlin: 2018, S. 255–272.
↑Warum riskieren Sie Ihr Leben, Milo Rau? In: Warum riskieren Sie Ihr Leben, Milo Rau? | annabelle.ch. (annabelle.ch [abgerufen am 14. Dezember 2016]).
↑STANDARD Verlagsgesellschaft m.b.H.: Milo Rau: "Meine Hoffnung ist eine Revolution von unten". In: derStandard.at. (derstandard.at [abgerufen am 14. Dezember 2016]).
↑Milo Rau: „Das Kongo Tribunal“: Oberhalb des Radars. In: die tageszeitung. (taz.de [abgerufen am 14. Dezember 2016]).
↑Andreas ToblerMitarbeiter Kultur@tobler_andreas: Milo Rau sagt in Zürich ab – und in Gent zu. In: Tages-Anzeiger, Tages-Anzeiger. 27. April 2017, ISSN1422-9994 (tagesanzeiger.ch [abgerufen am 23. Mai 2017]).
↑NTGent.be: Milo Rau nieuw artistiek leider. (ntgent.be [abgerufen am 23. Mai 2017]).
↑Andreas Tobler: «Das ist für mich das Stadttheater der Zukunft». In: Tages-Anzeiger, Tages-Anzeiger. 11. Mai 2017, ISSN1422-9994 (tagesanzeiger.ch [abgerufen am 23. Mai 2017]).
↑Andreas Fanizadeh: Milo Rau am Nationaltheater in Gent: „Klassiker verboten!“ In: Die Tageszeitung: taz. 16. September 2018, ISSN0931-9085 (taz.de [abgerufen am 26. September 2018]).
↑Dirk Pilz: Skandal um Theaterlesung in Weimar: Breiviks Rede auf der Bühne. In: fr-online.de. (fr.de [abgerufen am 14. Dezember 2016]).
↑St. Galler Tagblatt AG, Switzerland: Blick zurück auf «City of Change». In: St.Galler Tagblatt Online. (tagblatt.ch [abgerufen am 14. Dezember 2016]).
↑Sophiensaele. In: sophiensaele.com. Abgerufen am 14. Dezember 2016.
↑Die Realität ins Theater holen - Steirischer Herbst 2016. In: news.ORF.at. 14. Oktober 2016 (orf.at [abgerufen am 14. Dezember 2016]).
↑Kate Connolly: The most ambitious political theatre ever staged? 14 hours at the Congo Tribunal. In: The Guardian. 1. Juli 2015 (theguardian.com [abgerufen am 14. Dezember 2016]).
↑Adolf Muschg: Laudatio auf Milo Rau: Jetzt oder nie. In: Neue Zürcher Zeitung. 10. November 2015, ISSN0376-6829 (nzz.ch [abgerufen am 14. Dezember 2016]).
↑Milo Rau erhält ITI-Preis 2016. (PDF) Zentrum Bundesrepublik Deutschland des Internationalen Theaterinstituts, 16. Februar 2016, archiviert vom Original am 10. März 2016; abgerufen am 10. März 2016.